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Herrndorf, Wolfgang - Sand

Herrndorf, Wolfgang - Sand

Titel: Herrndorf, Wolfgang - Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Troll Trollson
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ihm gesprochen haben. Dass der so hieß.»
    «Und der kommt da an bei euch, klopft an der Tür und stellt sich vor als Versicherungsagent Cetrois.»
    «Ja … nein … nein, nicht als Versicherungsagent. Aber das haben wir uns dann gedacht, wir sind ja nicht doof! Ich meine, vorgestellt hat der sich als … ich weiß es nicht mehr genau, als Journalist oder was, hab ich vergessen. Aber das war ja klar, dass das kein Journalist war. Dass der wegen dem Geld kam. Weil der immer danach gefragt hat. Geld, Geld, Geld! Geld hier, Geld da, Geld überall! Und jetzt sagt ihr doch mal, warum interessiert ihr euch denn für den?» Michelle kämpfte mit den Tränen, und Jutta, die die ganze Zeit mitfühlend geschwiegen hatte, ergriff ihre Hand.

    OHNE LEICHE KEIN MORD
     
    Ich meine, natürlich bewege auch ich meine Kamera. Aber nur, wenn ich auch einen Grund dafür sehe.
    Cronenberg
     
    Ein großes Gebäude und zwei kleinere, mitten in der Wüste. Canisades suchte nach Reifenspuren, die von der Piste abzweigten, und steuerte ihnen folgend auf die Gebäude zu. Auf dem Dach einer der Baracken war Wäsche zum Trocknen ausgelegt. Die riesige Scheune lag halb verfallen, Sanddünen leckten die Wände hinauf. Ein Müllhaufen hatte zwei Vögel angezogen. Es war anzunehmen, dass das Anwesen noch vor zwanzig, dreißig Jahren auf fruchtbarem Boden gestanden hatte, von der Oase aus bewässert worden war oder von einem eigenen, nun ausgetrockneten Brunnen. Dass hier noch jemand lebte, konnte nur zwei Gründe haben. Entweder war der Besitzer verrückt, oder Schmuggler benutzten die alte Scheune als Lager. Canisades parkte den Wagen. Sofort kam ein alter Fellache auf ihn zugeschwankt. Schon physiognomisch gewann die «Verrückt»-Hypothese an Plausibilität. Halb blind, stark schielend, ein Auge trübweiß verschleiert.
    «Ein Jammer, ein Jammer!», rief er sofort. «Sind Sie der Gendarm? Kein Geld dieser Welt kann mir das ersetzen. Meine Söhne! Tausende von Dollar, Tausende und Tausende, meine prächtigen Söhne, Licht meiner Augen, Sonne meines Alters! Auf meinen Armen gewiegt, die beiden, die Jungen, die Prinzen. Ich flehe Sie an, kein Geld auf Erden.»
    Canisades, der nicht die Absicht gehabt hatte, irgendwas in dieser Welt mit Geld zu ersetzen, wich einen Schritt zurück.
    «Mohammed Bennouna? Das ist Ihr Hof?»
    Der Mann nickte malerisch. «Tot und verschollen! Schmerz in meiner aufrichtigen Brust, ich lüge nicht! Einst ein paradiesischer Garten, jetzt stinkende Wüste. Nur ein Ungläubiger … vom Himmel gefallen … und so hat er sie erschlagen, so! Mit beiden Händen.» Er schwang einen imaginären Flaschenzug über seinem Kopf. «Möge er in der tiefsten Hölle … ich fluche nicht. Die Schmerzen. Allah stellt mich vor die schwerste Prüfung, das ist gerecht. Aber mein Goldjunge, mein Silberjunge, ermordet, geschändet, verschollen …»
    «Wo sind die Toten?»
    «Kann man weiterleben mit diesen Gedanken? Das frage ich. Wie soll der für immer zertrümmerte Schädel meines Sohnes … unter keinen Umständen. Das Moped ist weg, meine Söhne sind weg, die Stützen meines Alters … unbezahlbar! Und der Schmerz in meiner Seele noch nicht eingerechnet.» Der Fellache fiel vor Canisades auf die Knie und umklammerte dessen Beine. Seine Alkoholfahne erklärte das nur unzureichend. Canisades versuchte es zuerst mit Rückwärtsgehen, dann mit Beschimpfungen. Auf allen vieren kroch der Alte hinter ihm her.
    «Zeig mir die Toten. Du hast zwei Tote gemeldet. Und hör auf, meine Schuhe vollzusabbern.»
    Der Fellache jammerte weiter, und erst, als Canisades seinen Autoschlüssel herausholte und drohte, nach Targat zurückzufahren, besann er sich. Immer noch kläglich, aber relativ umstandslos und mit großen Gesten, während er Canisades herumführte, berichtete er, was sich zugetragen hatte; oder wovon er glaubte, dass es sich zugetragen hätte. Offenbar hatte er zwei Söhne gehabt. Der Ältere einundzwanzig (Licht meiner Augen, Sonne meines Alters usw.) und mit einem schweren Gegenstand (der Alte behauptete: einem Flaschenzug) erschlagen; der Jüngere sechzehn, in die Wüste geflohen und dort ebenfalls erschlagen. Am selben Tag.
    Wie der Alte zu dieser Einschätzung kam, blieb allerdings im Dunkeln, denn weder hatte er die Morde beobachtet, noch gab es, wie sich bald herausstellte, irgendwo eine Leiche oder auch nur Spuren des Verbrechens zu besichtigen. Auch der angebliche Täter, den der Alte hartnäckig einen vom Himmel gestürzten

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