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Herrndorf, Wolfgang - Sand

Herrndorf, Wolfgang - Sand

Titel: Herrndorf, Wolfgang - Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Troll Trollson
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aber … und woher? Ja, woher denn wohl schon, ob sie sich das nicht denken könnten. Das liege doch nahe, wo sie die letzten Jahre an nun wirklich keinem anderen Ort als der Kommune verbracht habe, und genau da und … nein! Kein Mitglied der Kommune, Himmel, Mitglied der Kommune sei der nicht gewesen … und was solle denn das? Wolle man sie bitte nicht immer an der Schulter reißen und sie einfach erzählen lassen? Sie erzähle ja bereits, und auf die eine Sekunde komme es doch nun sicher auch nicht mehr an. Sie könne auch nur erzählen, wenn man sie nicht bedränge, so sei sie, Michelle, nun eben, sie sei, wie sie sei, ein ruhiger, mit sich selbst im Reinen seiender Mensch, und wenn es nicht ruhig gehe, dann gehe es eben überhaupt nicht …
    Helen scheuerte ihr eine. Es war die erste Ohrfeige, die Michelle in ihrem Leben erhalten hatte, und es blieb völlig im Dunkeln, ob sie eine therapeutische Wirkung zeigte oder nicht. Wenn man ein Aspirin nimmt und die Kopfschmerzen weggehen, weiß man ja auch nie, was die Heilung bewirkt hat. Und was sich jetzt innerhalb weniger Sekunden herausstellte, war, dass Michelle auch nicht wusste, wer dieser Cetrois war. Weder hatte sie ihn gesehen noch gesprochen … und nein, persönlich schon gar nicht. Nur habe er eben kurz nach dem Massaker die Kommune besucht. Im Auftrag einer Versicherung. Ein Versicherungsagent offenbar.
    «Also, erst dachten wir Journalist, dann Detektiv oder so was. Und dann vielleicht Versicherungsvertreter. Agent. Wobei, das haben die anderen gesagt, ich hab ja, wie gesagt, grad geschlafen. Nun lass mich doch.»
    Sie ließen sie nicht.
    «Welche Versicherung?»
    Michelle wand sich, hustete, blickte umher. Diese bohrenden Fragen. Wieder einmal reichte es nicht, etwas zu wissen. Immer musste alles genau begründet werden und belegt, die westliche Krankheit. Und so genau wusste sie es dann ja auch wieder nicht.
    «Ich weiß nur, was die anderen mir erzählt haben», erklärte sie und unterstrich ihre Worte mit dramatischen Gesten. Denn es war offenbar ein dramatischer Vorgang. «Ich hab ja auch damit nichts zu tun! Nur dass es ein paar Tage nach diesem schrecklichen Überfall war. Die Polizei hatte alles durchsucht, stundenlang, und dann kam dieser Mann. Weil, Ed Fowler … Ed, Eddie, den hast du auch kennengelernt, der hatte ja eine Versicherung bei dieser englischen Firma –»
    «Eine Lebensversicherung? Diebstahl?»
    «Ja … nein. Auch. Er hatte irgend so eine Versicherung, frag mich nicht. Für das Materielle habe ich mich noch nie interessiert, und auch Ed hat sich nicht dafür interessiert. Das war seine Familie, die hat das für ihn gemacht. Er kommt doch aus diesem stinkreichen Elternhaus, und die wollten unbedingt, also, die hatten anscheinend eine Versicherung für ihn abgeschlossen, und woher soll ich denn wissen, was für eine?» Michelle machte eine kurze Pause, aber wirklich nur eine winzige Pause. «Jedenfalls stand ja in allen Zeitungen das mit dem Bastkoffer und dem Geld. Der goldene Koffer voller Geld. Das hatten ja alle gesehen, da standen ja tausend Leute vorm Haus, die diesen schmutzigen Amadou gesehen hatten, wie er mit dem Koffer… und du weißt, wie die Araber sind. Gold und Geschmeide! Man bringt ja keine vier Leute um wegen nichts. Dabei war das nur so ein Bastkoffer. Mein Koffer im Übrigen. Den mussten wir in der vierten Klasse mal machen, gelb mit roten Sternen drauf und so. Die sind aber später abgefallen. Und da hatte dann irgendjemand Papiergeld reingetan. Aus’m Osten. Was aber nichts wert war.»
    «Und was war das wert?»
    «Nur ein paar Dollar, hat Ed gesagt.»
    «Das wusste aber keiner?»
    «Doch. Die Polizei – am Anfang haben wir halt schon alles erzählt. Im ersten Schock. Und dann kam Ed aber drauf … jedenfalls hieß es dann Dollars. Dass da Dollars drin waren. Und Wertgegenstände. Gold.»
    «Und da habt ihr dann versucht, die Versicherung zu bescheißen. Kann es sein, dass das Lloyd’s war?»
    «Das weiß ich nicht, ob das Lloyd’s war. Ich hatte auch nichts damit zu tun! Ich dürfte da eigentlich gar nicht mit euch drüber reden.» Michelle richtete die vor ihr liegenden Karten am Muster des Badelakens aus. Für die palästinensische Zukunft sah es auf einmal überraschend düster aus. Sie wollte die Unterhaltung jetzt auf keinen Fall weiterführen.
    «Aber gesehen hast du den nicht?»
    «Nein.»
    «Und woher weißt du, dass der Cetrois hieß?»
    «Weil das die anderen gesagt haben, mein Gott! Die mit

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