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Herrndorf, Wolfgang - Sand

Herrndorf, Wolfgang - Sand

Titel: Herrndorf, Wolfgang - Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Troll Trollson
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zynischer argumentieren als ‹The games must go on›? Die beiden Frauen vergossen einige Tränen. Der Wind frischte auf. Michelle wusste nicht, wann sie sich das letzte Mal so gut unterhalten hatte. Es war wohltuend, an der Schulter der Deutschen zu lehnen, die ein wenig nach Mayonnaise roch, sich seinen Gefühlen hinzugeben und dabei aufs Meer zu sehen, hinter dem irgendwo Amerika lag, das, wie Michelle soeben erfahren hatte, ebenfalls von Juden regiert wurde. Jedenfalls ökonomisch gesehen. Diese Deutsche wusste allerhand. Mit einem nachdenklich an die Unterlippe gelehnten Zeigefinger schlug Michelle vor, die Tarotkarten zum Palästinakonflikt zu befragen.
    Sie sprach mit leiser Stimme, aber auf dem anderen Handtuch beachtete man die beiden Frauen ohnehin nicht.
    Carl hatte Helen gerade irgendeine Frage gestellt, Helen hatte aufgeregt geantwortet, und schon waren sie wieder in eine kopflose Konversation über diesen Mann namens Cetrois vertieft. Cetrois hier, Cetrois da.
    «Was habt ihr eigentlich immer mit diesem Cetrois?», rief Michelle.
    Sie begann, der Deutschen, die im Übrigen Jutta hieß, das Legesystem zu erklären, die Erweiterung des Keltischen Kreuzes. Sie erwähnte den altägyptischen Ursprung des Spiels, das große und das kleine Arkanum, das Prinzip und das umgekehrte Prinzip, und zwischendurch, als es nebenan kurz still geworden war, wiederholte sie ihre Frage.
    «Möchtest du ein Stück Schokolade?», antwortete Helen.
    Ohne ihre Jugendfreundin eines Blickes zu würdigen, legte Michelle den Hierophanten auf die Eins. Warum musste Helen sie immer wieder spüren lassen, wie wenig sie von ihren geistigen Fähigkeiten hielt? Außerdem wusste Helen genau, dass Michelle grundsätzlich keine Schokolade aß, das setzte bei ihr immer sofort an den Oberschenkeln an.
    «Ich frag ja nur! Cetrois hier, Cetrois da.»
    «Es gibt keinen Cetrois», sagte Helen ärgerlich.
    Und die Wellen rauschten an den Strand, die Möwen schrien über ihren Köpfen. Jeden normalen Menschen hätte die herrliche Natur beruhigt und entspannt. Nicht so Helen.
    «Natürlich gibt es Cetrois», sagte Michelle. Sie hielt die nächste Karte mit der Rückseite nach oben und drehte sie feierlich um. Der Magier auf der Zwei. Den Hierophanten als Ausgangssituation mit dem Magier in den Einflüssen fand Michelle nie sehr einfach zu interpretieren. Man täuschte sich hier leicht, wenn man Religiosität mit Religion verwechselte. «Ich kenne ihn», murmelte sie und legte die Mäßigkeit auf die Drei. Die Mäßigkeit neben dem Magier, das ergab erst mal überhaupt keinen Sinn jetzt. Man würde abwarten müssen. Oft stellte sich der Zusammenhang erst aus dem Zusammenhang her. Als Nächstes kamen der Eremit, der Stern, der Triumphwagen … und schließlich hob Michelle den Kopf in das entsetzliche Schweigen hinein, das sie auf einmal umgab.
    Helen und Carl waren aufgesprungen und starrten sie an. Mit so viel Aufmerksamkeit hatte sie nicht gerechnet. Ruhig legte sie die restlichen Karten aus. Das Rad des Schicksals, die Liebenden, der Herrscher…
    «Was!», rief Helen.
    «Du kennst ihn?», rief Carl.
    Was war denn das für ein Ton? Sie ließ einige Sekunden verstreichen, bevor sie wieder aufsah. «Du kennst ihn?», rief Helen.
    «Ja, natürlich», sagte sie achselzuckend zu Jutta, und Jutta nickte verständnisvoll. «Aber mich fragt ja immer keiner!»
    Sie machte einen Schmollmund und betrachtete mit freundlich-selbstbeherrschtem Blick den freundlich-selbstbeherrschten Herrscher auf der Zehn. Würde der Herrscher Palästina Frieden bringen? Das war die Frage. Die Karte schien diese Deutung nahezulegen, aber leider nur eine halbe Sekunde lang. Dann wurde Michelle an der Schulter herumgerissen. Helen. Neben ihr Carl. Schreiend. Bis hierhin war es ein Triumph gewesen. Jetzt wurde es sofort unangenehm. Und gern hätte Michelle die Antwort auf die überaus unhöflich gestellten Fragen verweigert oder wenigstens hinausgezögert, aber wenn die Jahre in der Kommune sie eines gelehrt hatten, dann, dass ein Herumgerissenwerden an der Schulter das Ende der freundlichen Kommunikation bedeutete. Und wie hieß es so schön? Der Klügere gibt nach!
    «Der Klügere gibt nach», sagte Michelle, strich sich eine widerspenstige Haarsträhne hinters Ohr und begann, stockend und etwas ängstlich angesichts der nun direkt über ihr stehenden Helen zu berichten, dass sie diesen Cetrois kannte, ja natürlich, sie kenne ihn, und warum denn auch nicht? Also nicht direkt,

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