Herrscher der Eisenzeit - die Kelten - auf den Spuren einer geheimnisvollen Kultur
beeindruckender Anblick. In dem üppigen, fünffach gefalteten mit scharlachroten und grünen Streifen und vorn mit einer prunkvollen Schließe zusammengehaltenen Mantel und dem hohen Helm mit den seitlich befestigten Vogelschwingen wirkt der Stammesführer noch größer als er ohnehin schon ist – wie ein Gigant aus den Erzählungen der Geschichtsbewahrer und der alten Männer. Seine Augen blicken erhaben und stolz über die Menge hinweg, ohne dabei jemand Bestimmtes anzusehen. Sein Gesicht gleicht einem Stein, ein Eindruck, der vor allem durch den riesigen herunterhängenden Schnauzbart hervorgerufen wird, der jede Bewegung des Mundes vollständig verbirgt.
Belorestos verharrt auch dann noch regungslos in dieser Position, als sich der erste Druide vor ihn stellt. Ein Gehilfe kommt und bringt dem alten, in eine schlichte weiße Kutte gekleideten Mann seine heiligen Waffen: den sternförmigen, vielfarbigen, mit einem Silberkreis geschmückten Schild, das lange Kampfschwert und die beiden Lanzen, von denen man sich erzählt, dass ihre Spitzen vergiftet seien. Als diese Zeichen der druidischen Macht in die vorgeschriebene Anordnung gebracht sind, schließt der heilige Mann die Augen, legt den Kopf zurück in den Nacken und stimmt einen langen Ton an,der wie ein Brummen klingt, ohne dabei jedoch den Mund zu öffnen. Langsam hebt er beide Arme. Als sie den höchsten Punkt erreicht haben, erstarrt der Druide, gerade so, als ob er von den hoch gestreckten Händen an abwärts zu Eis erstarren würde. Das Brummen verstummt. Die Zuschauer halten den Atem an. Dort steht nicht nur ein Mensch. Dort steht eine Macht, die größer ist als die, die ein Kriegsherr je hatte, je haben wird.
Plötzlich geht ein Ruck durch den Druiden. Der Kopf mit der großen gebogenen Nase schnappt nach vorn wie der eines Raubvogels, die stechenden Augen blicken geradeaus direkt in die Menge, und Aleso könnte in diesem Moment selbst bei Cernunnos, dem Vater aller Götter schwören, dass er kaum merklich ein schwaches Glühen im Gesicht des Mannes wahrgenommen hat. Der Wind bläst dem Alten ein paar lange graue Haarsträhnen vor das Gesicht, so dass es den Anschein hat, als würde er durch Spinnenweben blicken. Die Arme sinken wieder herab, um sich gleich anschließend zu einer fast bittenden Gebärde zu formen. Dann beginnt er zu sprechen.
»Cernunnos, Belenus, Taranis, ihr habt uns in dieser schweren Zeit beigestanden und zum Sieg geführt. Ihr heiligen Mächte habt unsere siegreichen Männer wohlbehalten zurückgebracht und die, die auf stärkere Gegner als sie selbst getroffen sind, sicher in die Andere Welt geleitet. Aber«, und seine Stimme nahm einen bedrohlichen Ton an, »ihr habt auch Grund zu zürnen, denn einige unserer Krieger sind nicht heldenhaft im Kampf Mann gegen Mann gefallen. Sie tragen ihre Wunden im Rücken, und da sie nicht feige davongelaufen sind, gibt es für ihren Tod nur eine Erklärung. Doch soll der Groll der Götter nicht lange währen. Noch heute soll eine gleich große Zahl von den Männern, die die Gefangenschaft einem ehrenvollen Tod im Kampf vorgezogen haben, der Welt der Pflanzen und der Dunkelheit zugeführt werden, um das ewige Gleichgewicht der Elemente wiederherzustellen!« Diese letzten Worte schreit er Silbe für Silbe hinaus, und während sein Kopf mit ruckartigen Bewegungen hin und her schießt, scheinen in seinen Augen bereits die Opferfeuer zu brennen.
Aleso wagt nicht zu blinzeln, aus Angst, ihm könnte etwas entgehen. Die herabsinkende Dunkelheit und das Flackern der inzwischen herbeigebrachten Fackeln lassen die Schatten gespenstisch tanzen. Der Abendwind hat den Platz erreicht und fängt sich im Gewand des Druiden. Dieser sinkt unvermittelt in sich zusammen. Es kostet unglaubliche Kraft, die Verbindung zu den Göttern herzustellen und aufrechtzuerhalten, und er ist ein alter Mann, mehr als 55 Winter alt. Seine zwei Gehilfen springen herbei, um den dürren, kraftlosen Körper aufzufangen. Sie tragen ihn zu einem Platz, der ein wenig abseits liegt, und betten ihn auf dem harten Boden. Einer der jungen Männer reißt sich seine weiße Kutte vom Leib und stopft sie dem Druiden unter den Kopf. Die Menge wird unruhig, und ein undeutliches Gemurmel erhebt sich. Ist das jetzt ein böses Zeichen? Oder musste die menschliche Seite einfach nur einen hohen Preis dafür zahlen, dass sie zum Wohle des Stammes die Nähe zu den Göttern gesucht hat?
Wer kennt schon den Willen der Götter …
Grauhaarige
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