Herrscher der Eisenzeit - die Kelten - auf den Spuren einer geheimnisvollen Kultur
reisen. Aus der nordirischen Provinz Ulster (damals ein eigenständiges Königreich) berichtet die Sage, dass die Reisewilligen dazu am Eingang ihre Taten aufsagen und Beweise vorlegen mussten. Da man von einem Reisenden nicht erwartete, dass er sich auf der Reise mit einer großen Menge an Köpfen belastete, reichten in Ulster praktischerweise auch die Zungenspitzen …
All diese Feste werden nicht nur von religiösen Zeremonien begleitet, sondern finden unter der Ägide der heiligen Männer des Stammes statt, den Bewahrern der Zeit. Sie legen Ort und Zeit fest, bestimmen die durchzuführenden Opferungen: den Preis für die Leistungen, die man von den Göttern empfangen hat oder erwartet. Denn diese sind allgegenwärtig.
Blätter, Blüten, freie Formen – die Kunst der Kelten
Zeigen, wer man ist
Verudoetius steigt langsam die Stufen des Kapitols hinauf, in dem die hohen Herren des Senats von Rom auf ihn warten. Es ist seine erste Reise in diese riesige Stadt, und er bemüht sich, sich sein Erstaunen nicht anmerken zu lassen. Rom ist so völlig anders als Bibracte, die Hügelfestung seines Stammes, der Aedui. Die Häuser der Obersten und die Tempel, in denen die Römer ihren Göttern huldigen, sind riesig! Sollen die Menschen sich klein fühlen im Angesicht der Macht?
Seine Blicke bleiben unwillkürlich wieder und wieder an den Verzierungen der Säulen und den farbenprächtigen Friesen hängen, an den Statuen, von denen er weiß, dass sie gleichermaßen große Bürger Roms und ihre Götter darstellen. Einen Unterschied kann er nicht erkennen, denn die Römer formen ihre Götter nach ihrem eigenen Bilde. Nun, mag man darüber denken wie man will, doch sie müssen in jedem Fall große Künstler sein. Wären die Statuen nicht sichtbar aus dem glatten weiß glänzenden Stein, den sie Marmor nennen, man könnte sie glatt für echte Menschen halten.
Er hat den Eingang erreicht. In wenigen Augenblicken wird er vor den Senatoren dieser großen Stadt reden. Nur widerwillig überreicht er der Wache sein Schwert und seinen Dolch. Ein Kriegsherr der Aedui, der ohne seine Waffen vor die Vertreter eines fremden Volkes tritt, allein der Gedanke bereitet ihm schon Unbehagen.
Die schwere eisenbeschlagene Tür schwingt auf, und der Kriegsfürst aus Gallien betritt den Saal. Das Gemurmel stoppt abrupt. Die weiß gekleideten Männer starren ihn an. Sie geben sich keine Mühe, ihre Verachtung zu verstecken. Mit hochgezogenen Augenbrauen mustern sie ihn ungeniert von oben bis unten. Dieser Barbar! Dieser Primitivling! Schaut euch nur diesen bunten Umhang an! Dieseriesige Fibel! Diese Peinlichkeit von einem monströsen goldenen Halsreifen! Die Unzahl von Ketten, die Ringe! Was sollte so einer dem Senat der »Ewigen Stadt« wohl zu sagen haben? Er möge sich in seine Lehmhüttensiedlung zurückscheren, dort kann er seine Leute mit diesem Aufzug vielleicht beeindrucken.
Hier prallen zwei in ihren Ansichten völlig unterschiedliche Kulturkreise aufeinander. Römische (wie auch griechische) Kunst ist weitestgehend unbeweglich. Sie findet ihren Ausdruck in Gebäuden, Gebäudeteilen, Statuen. Sicher verzieren Römer und Griechen auch ihre Rüstungen und Schilde, Gegenstände des täglichen Bedarfs wie Schüsseln und Trinkgefäße, tragen vielleicht auch den einen oder anderen mehr oder weniger dezenten Fingerring aus Bronze oder Gold, doch ansonsten sind die Moderegeln sehr strikt gefasst: Zu viel persönlicher Schmuck ist verpönt, gilt als primitiv. Ein Iulius Caesar gilt schon als Exzentriker, weil er langärmlige Kleidung trägt.
Bei den Kelten gilt dagegen der Grundsatz: Wohlstand ist Status und der muss auch und vor allem außerhalb meines Haushalts für alle anderen sichtbar sein. Wo immer der Kelte auch hinzieht, er muss dort zeigen, wer und was er ist. Seine Kunst ist darum konsequenterweise mobil; alles ist so designed, dass es an der Person gesehen werden kann und konzentriert sich auf persönlichen Schmuck und Gebrauchsgegenstände, die mitgeführt werden können: auf Waffen, Spiegel, Zaumzeug, Wagenbeschläge, auf die Ausstattung für Gelage. Die Häuser der Kelten dagegen sind schmuck- und schnörkellose Bauten.
Es ist eine Kunst der Wohlhabenden. Als die Römer Gallien unterwerfen, werden die reichen keltischen Kriegeraristokraten entweder ausgerottet oder romanisiert. Die La-Tène-Kunst stirbt quasi von heute auf morgen.
Ein Stil offen für alles – aber unverwechselbar
Der Kunststil der La-Tène-Zeit ist das, was wir
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