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Herrscher der Eisenzeit - die Kelten - auf den Spuren einer geheimnisvollen Kultur

Herrscher der Eisenzeit - die Kelten - auf den Spuren einer geheimnisvollen Kultur

Titel: Herrscher der Eisenzeit - die Kelten - auf den Spuren einer geheimnisvollen Kultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Körper hoch. Vielleicht hat der Abend ja dann endlich ein Ende …
    Schwankend ziehen sie durch das nächtliche Pergamon. Vor einem Tempel machen sie schließlich halt. Erleichtert sieht Doraktos, wie eine Wache auf sie zukommt und abwehrend die Hand ausstreckt. Natürlich, wie alle öffentlichen Gebäude ist auch dieser Tempel um diese Tageszeit geschlossen. Seine Erleichterung hält aber nur so lange an, wie Nikolaos braucht, um der Wache ein paar Münzen in die Hand zu drücken und dafür sogar noch eine Fackel erhält.
    Dann treten sie ein.
    Der riesige Raum ist voll mit Skulpturen aus glattem weißem Stein und aus Bronze. Höflich nicken Doraktos und Avaricus und wenden sich zum Gehen. Doch ihre Gastgeber packen sie an den Gewändern und zerren sie in eine bis dahin noch im Dunkeln liegende Ecke.
    Als das Licht der Fackeln auf das fällt, was das eigentliche Ziel ihres nächtlichen Ausflugs darstellt, zucken die beiden Galater zunächst zusammen. Eine ganze Weile stehen sie und starren ungläubig. Dann fallen sie auf die Knie und weinen.
    Sie stehen vor ihrer Vergangenheit. Auf kleinen Podesten, in einem großen Kreis angeordnet, liegen oder fallen verletzte und tote Galater aus Bronze. Besonders zwei Skulpturen fangen den Blick der nächtlichen Besucher. Die eine zeigt einen am Boden liegenden, sterbenden Galater, nackt, besiegt, mit schmerzverzerrtem, müdem Gesicht. Selbst die tödliche Wunde hat der Künstler nicht vergessen. Die andere Skulptur, die das Zentrum der ganzen Gruppe bildet, besteht aus zwei ebenfalls überlebensgroßen Figuren. Ein besiegter galatischer Krieger hat gerade seiner Frau die Kehle durchgeschnitten, um ihr die Gefangenschaft zu ersparen. Sein verzweifeltes Gesicht und der oberhalb seines Herzens angesetzte Dolch lassen keinen Zweifel daran, dass er sich die Waffe anschließend selbst durch den Körper jagen wird (s. im Farbbildteil die Abb. 21 und 22).
    Hätte der Künstler den Skulpturen nicht die natürliche Farbe der Bronze gelassen, Doraktos und Avaricus hätten sie wahrscheinlich für echt gehalten. Die Gesichtszüge, das Haar, die Gewandfalten, alles war so fein ausmodelliert, als wären dort tatsächlich Menschen mitten in der Bewegung erstarrt.
    Nikolaos und Aresteides ist beim Anblick ihrer weinenden Gäste auch der letzte Weinrausch schlagartig verflogen. Unter gemurmelten Entschuldigungen führen sie sie schließlich aus dem Tempel. Scheinbar willenlos lassen sich die beiden Tolistobogier wegziehen.
    Bei den vor knapp 100 Jahren nach Kleinasien eingewanderten Kelten hat es keine Druiden gegeben. Die Galater haben zum Teil die Götterkulte der Regionen angenommen, in denen sie sich angesiedelt haben. Doch ganz tief in ihnen, oft nur unbewusst, leben die Reste einer Religion, die weder Zeit noch Kriege haben auslöschen können.
    Dieses Stück Urglaube, das noch in ihnen steckt, ist es, was in Doraktos und Avaricus im Angesicht der Skulpturen von den besiegten Galatern aufgeschrien hat. Mit der Erschaffung dieser Kunstwerke ist die Schmach der Niederlage unveränderlich geworden. Ihre Schande ist somit für die Ewigkeit.
    Attalos I. hat diese Skulpturen in Auftrag gegeben, um seinen Sieg über die Galater zu feiern. Er kann nicht wissen, dass er ihnen damit eine weitaus größere Demütigung zufügt, als mit dem, was sich damals auf dem Schlachtfeld abgespielt hatte.
    Die Galater sehen es einige Jahre später mit grimmiger Genugtuung, dass Attalos sein gesamtes Reich zeitweilig an Antiochos III., den jungen, erstarkten König von Syrien verliert. Attalos I. stirbt 197 v. Chr. und ihm folgt sein Sohn Eumenes, der sich Eumenes II. von Pergamon nennt.
    Was sich jedoch nun in Kleinasien entwickelt, ist eine Machtkonstellation, die zunächst auch die Galater spaltet. Antiochos III. wird von seinem Ehrgeiz weit über die Grenzen seines eigenen Territoriums hinausgetrieben und führt einen Krieg gegen Griechenland. Damit verdient er sich die uneingeschränkte Hochachtung der galatischen Kriegeraristokratie, die ja aber eigentlich unter der formellen Herrschaft des Eumenes II. von Pergamon stehen. Sehen sie darin vielleicht eine Chance, sich aus der Abhängigkeit ihres westlichenNachbarn zu lösen? Zumindest sympathisieren sie mit dem Syrer, auch wenn sie ihn noch nicht offen unterstützen. Auf der anderen Seite betonen große Teile der galatischen Bevölkerung – die unter Eumenes zu Wohlstand gelangten Kaufleute – ihre Loyalität zu Pergamon.
    Als wäre das allein nicht schon

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