Herrscher der Eisenzeit - die Kelten - auf den Spuren einer geheimnisvollen Kultur
Tränen. Nein! Sie dürfen seine Tränen nicht sehen. Das Einzige, was sie dazu gebracht hat, ihm bis hierher zu folgen, den tausendfachen Tod ihrer Kameraden mit anzusehen und doch weiterzugehen, ist seine Person, seine Stärke. Sie sind ihm gefolgt, weil er der ist, der er ist: Hannibal von Karthago.
Er atmet tief durch und spürt, wie die Tränen aus seinen Augen verschwinden. Die vielen toten Krieger, erfroren, verhungert, in bodenlose Abgründe gestürzt. Nein, sie werden nicht umsonst gestorben sein. Sein Plan wird aufgehen, denn mit seinem Marsch über die bereits verschneiten Alpen hat er etwas getan, was sie nicht erwartet haben. Rom wird zittern vor ihm, denn schon bald wird Karthago direkt vor den Toren Roms beginnen.
Denn Karthago, das ist er.
Ein kleiner Triumph wird ihm jedoch versagt bleiben. Zu seinem großen Bedauern sind 22 seiner stolzen Kriegselefanten in diesen lebensfeindlichen Bergen jämmerlich verreckt.
Nun, seine Elefanten wird er nicht ersetzen können, wohl aber – wie es scheint – seine Verluste bei den Kriegern. Denn sein Weg nach Rom führt ihn durch das Gebiet verschiedener Volksstämme, die nach seinen Informationen den Römern alles andere als freundlich gesinnt sind. Es sind Gemeinschaften, die von einer Kriegeraristokratie geführt werden, der die Römer das Kriegersein verboten haben. Nachdem sie so viele der Krieger dieser Stämme vor etwa sechs Jahren in der Nähe eines Kaffs mit dem Namen Telamon abgeschlachtet haben.
Aber Krieger bleiben Krieger. Er, Hannibal von Karthago, wird ihnen helfen, ihre Kriegerwürde wiederzufinden, im Kampf gegen diejenigen, die sie gedemütigt haben.
Hannibal lockert den Knoten der Decke, die er um die Schultern geschlungen trägt. Seinen Umhang hat einer seiner Unterführer mit in den Tod genommen. Der schwere, kunstvoll bestickte Stoff hatte den Mann vor dem Kältetod bewahrt. Nicht jedoch vor dem Sturz in die Schlucht, als er im Fieberwahn vom Weg abgekommen ist.
Jetzt ist ihm warm. Und das liegt nicht nur an der Sonne, die ihm jetzt direkt ins Gesicht scheint …
241 v. Chr., im Ersten Punischen Krieg, 23 Jahre vor Hannibals Marsch über die Alpen, verlieren die Karthager den Inselzusammenschluss Korsika und Sardinien sowie Sizilien und damit ihre Vorherrschaft auf dem Mittelmeer an ihren Uraltverbündeten Rom.Der Niedergang der wohlhabenden Gemeinschaft der poeni , der Kaufleute, wie sich die Karthager auch nennen, die bislang von Spanien und dem nordafrikanischen Tunesien aus den Mittelmeerhandel dominiert haben, hat begonnen. Im Jahre 218 v. Chr. starten sie unter ihrem Herrscher Hannibal schließlich ihren Marsch zu dem, was für sie die Quelle allen Übels ist: Rom. In der geschlagenen, ihrer Würde beraubten keltischen Kriegerschaft jenseits der Alpen findet der karthagische Herrscher wie zuvor auch schon in Spanien mehr als bereitwillige Mitstreiter. Zum Zeitpunkt des römischen Schreckensrufes Hannibal ad portas – »Hannibal an den Toren!« besteht die Armee des Karthagers zu mehr als 50 Prozent aus Kelten.
Doch auch die wirklich hoch motivierten keltischen Krieger können Hannibal nicht retten. Sein Angriff auf Rom scheitert; er wird zurückgedrängt und muss sich in das karthagische Kernland – das heutige Tunesien – zurückziehen. Nach Spanien zurück kann er nicht mehr. Das ist inzwischen fast vollständig in römischer Hand. Doch die Römer setzen nach. Im Jahre 202 v. Chr. wird Hannibal mit seinem Heer bei Zama (Saqiyat Sidi Yusuf in Tunesien) vernichtend geschlagen und begeht in römischer Gefangenschaft Selbstmord.
Und die Kelten? Ihrer letzten Hoffnung auf Wiederherstellung ihrer Kriegergesellschaft beraubt, und ohne einen starken Herrscher, der sie zu großen Taten motiviert, dauert es nur noch knapp zwölf Jahre bis zu ihrem eigenen Niedergang in Norditalien. Rom kennt keine Gnade. Weder vergisst es die keltische Unterstützung für den Erzfeind Karthago im Zweiten Punischen Krieg, noch ist Karthago durch Hannibals Untergang endgültig besiegt. Mit der Unterwerfung der norditalienischen Kelten um 190 v. Chr. stellt Rom sicher, dass nie wieder Kelten – egal unter wessen Führerschaft – gegen die »Ewige Stadt« ziehen.
Doch ist den Römern dieser Status quo nicht genug. Die Kelten sind ein Unsicherheits- und damit Angstfaktor – und dazu noch einer, der sich 200 Jahre zuvor tief in das kollektive Bewusstsein Romseingegraben hat. Von nun an kehrt sich die Bewegung um. Ab jetzt zieht Rom aktiv
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