Herrscher des Lichts - Sanderson, B: Herrscher des Lichts - The Hero of Ages, Mistborn 3
die Tage in der Höhle verstrichen, bedauerte Vin immer mehr, dass sie die Laterne umgestoßen und gelöscht hatte. Sie versuchte, sie mit tastenden Fingern zu bergen, aber das Öl darin war vergossen. Sie war in der Finsternis gefangen.
Zusammen mit einem Ding, das die Welt vernichten wollte.
Manchmal spürte sie es, wenn es in ihrer Nähe pulsierte und sie still beobachtete – wie ein faszinierter Zuschauer in einer Jahrmarktsschau. Zu anderen Zeiten war es verschwunden. Offenbar bedeuteten ihm Mauern nichts. Als es zum ersten Mal verschwand, verspürte Vin Erleichterung. Doch schon wenige Augenblicke später hörte sie Reens Stimme in ihrem Kopf. Ich habe dich nicht verlassen, sagte es. Ich bin immer da.
Bei diesen Worten lief es ihr eiskalt den Rücken herunter, und ganz kurz befürchtete sie, das Ding wäre in ihren Kopf eingedrungen. Doch sie kam zu dem Schluss, dass ihre Gedanken sehr einfach zu erkennen waren. Als sie an ihr früheres Leben zurückdachte, erkannte sie, dass es nicht immer Ruin gewesen
sein konnte, der in ihrem Geist sprach, wenn sie Reens Stimme gehört hatte. Oft hatte Reen etwas auf ihre Gedanken geantwortet und nicht auf die Dinge, die sie getan hatte. Da Ruin keine Gedanken lesen konnte, war es unmöglich, dass diese Kommentare von ihm stammten.
Doch Ruin sprach schon so lange zu ihr, dass sie ihre eigenen Erinnerungen nur schwer von seinem Einfluss trennen konnte. Sie musste einfach auf das Versprechen des Obersten Herrschers vertrauen, dass Ruin nicht in ihren Geist zu blicken vermochte. Ansonsten müsste sie jede Hoffnung fahrenlassen. Doch das würde sie nicht tun. Jedes Mal wenn Ruin zu ihr sprach, gab er ihr Hinweise auf seine Natur. Und diese Hinweise verschafften ihr vielleicht die Mittel, ihn zu besiegen.
Ihn besiegen?, dachte Vin und lehnte sich gegen die raue Felswand der Höhle. Er ist kein Mensch, sondern eine Naturkraft. Wie kann ich nur daran denken, so etwas zu besiegen?
Es war sehr schwer, in dieser ewigen Schwärze die Zeit abzuschätzen, doch sie schloss aus ihren Schlafperioden, dass seit ihrer Einkerkerung etwa drei oder vier Tage vergangen waren.
Jeder hat den Obersten Herrscher einen Gott genannt, rief sie sich in Erinnerung. Ich habe ihn getötet.
Auch Ruin war einmal gefangen gewesen. Das bedeutete, dass er besiegt oder zumindest gefesselt werden konnte. Doch wie war es möglich, etwas Abstraktes – eine Naturkraft – wie Ruin zu fesseln? Er hatte während seiner Gefangenschaft zu ihr sprechen können. Doch damals hatten sich seine Worte weniger kräftig angehört. Weniger … zielgerichtet. Ruin hatte eher als Einfluss gehandelt und dem Kind Vin zu Eindrücken verholfen, die sich durch die Erinnerungen an Reen manifestiert hatten. Es war fast so, als hätte er ihre Gefühle beeinflusst. Bedeutete das, dass er Allomantie benutzte? Er pulsierte ja tatsächlich vor allomantischer Kraft.
Zane hat Stimmen gehört, dachte Vin. Kurz vor seinem Tod schien
er mit jemandem oder etwas zu reden. Sie verspürte eine Gänsehaut, als sie den Kopf wieder gegen die Wand lehnte.
Zane war verrückt gewesen. Vielleicht gab es keine Verbindung zwischen Ruin und den Stimmen, die er gehört hatte. Doch das schien ihr ein zu großer Zufall zu sein. Zane hatte sie dazu bringen wollen, mit ihm fortzugehen und die Quelle des Pulsierens zu suchen – des Pulsierens, das sie schließlich dazu geführt hatte, Ruin freizulassen.
Also kann Ruin mich auch aus der Ferne und aus einem Gefängnis heraus beeinflussen, dachte Vin. Und jetzt ist er frei und kann sich zeigen. Das zieht eine weitere Frage nach sich. Warum hat er uns alle noch nicht vernichtet? Warum treibt er sein Spiel mit den Armeen?
Zumindest die Antwort auf diese eine Frage schien offensichtlich zu sein. Sie spürte Ruins grenzenlosen Willen zur Vernichtung. Sie hatte den Eindruck, seine Gedanken zu kennen. Er kannte nur einen Impuls. Nur einen Antrieb. Zerstörung. Ruin. Da er sein Ziel noch nicht erreicht hatte, bedeutete das, dass er dazu nicht in der Lage war. Dass er daran gehindert wurde. Dass er auf indirekte, nur allmählich wirkende Mittel zur Zerstörung angewiesen war – wie die fallende Asche und der verdunkelnde Nebel.
Doch auch diese Methoden würden ihn schließlich ans Ziel führen. Es sei denn, Ruin wurde aufgehalten. Aber wie?
Er war schon einmal eingesperrt … aber wie ist es dazu gekommen? Früher hatte sie angenommen, dass der Oberste Herrscher hinter Ruins Einkerkerung gestanden hatte. Doch
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