Herrscher über den Abgrund
natürlich zu sein. Die ovale Einfassung war auf einer Seite herausgebrochen, so daß das Wasser in einem kleinen Rinnsal ablief, über Steine hüpfte wie ein winziger Wasserfall und plötzlich verschwand. Bis dorthin reichte der Schein der Lampe nicht.
Sander probierte das Wasser: es war süß und frisch. Er trank aus der hohlen Hand und goß es über sein staubiges Gesicht. Die Tiere tauchten die Schnauzen ein und schlürften laut und gierig. Fanyi folgte dem Beispiel Sanders, trank und wusch sich und stieß dann einen tiefen, zufriedenen Seufzer aus.
„Ich möchte zu gern wissen, wer das hier gebaut hat“, sagte sie.
Sander holte den Wassersack heraus, leerte ihn und spülte ihn aus. Eine Süßwasserquelle mitten im Ozean – oder besser, dort, wo einmal ein Ozean gewesen war! Aber viel, viel früher war das hier Land gewesen. Die Erinnerung an Äonen verstrichener Jahre hing über diesem ovalen Tümpel. Heute zählten die Menschen von der Finsteren Zeit an. Und die Weisen hatten mehrere hundert Jahre errechnet, seit dem Untergang der Früheren Welt und der Entstehung der jetzigen.
Doch wie lange war es her, daß dieser Meeresgrund zum erstenmal an die Erdoberfläche trat, so daß die Menschen – oder zumindest intelligente Wesen – riesige Steinbauten errichten konnten, die selbst nach Jahrhunderten nicht völlig zerstört waren. Ihm wurde schwindlig, wenn er versuchte, sich den Zeitraum vorzustellen, der sicher nicht nach Generationen berechnet werden konnte, sondern nur nach Tausenden und Abertausenden von Jahren.
Sie tranken noch einmal und verließen den Tümpel. Zweimal hatten sie bisher das Glück gehabt, Wasser in der Salzwüste zu finden, und Sander war nicht sicher, ob sie auch beim drittenmal Glück haben würden. Ihm schien es jetzt am sinnvollsten, direkt nach Westen zurückzuwandern. Hier gab es kein Wild, und Hunger konnte sie ebenso plötzlich und ebenso tödlich packen wie Durst. Je eher sie bebaubares Land erreichten, desto besser, – ob sie nun Fanyis Ziel näherkamen oder nicht.
Der Schmied erwartete halb und halb, daß sie protestieren würde, als er ihr den Vorschlag machte. Aber sie sagte nichts, sondern hielt ihren Anhänger einige Zeit, so daß das Licht auf die Steine fiel. Es schien, als wollte sie mit dem Anhänger den Weg ausfindig machen, den sie gehen mußten.
Sie kamen nicht rasch voran. Der Boden war zerklüftet, und die Riffe zwangen sie zu größeren oder kleineren Umwegen. Ihre Kleider und ihre Körper, ihre Gesichter, sogar die Haare waren dick mit dem Sandstaub bedeckt. Als die Nacht tiefer hereinbrach, versuchte Sander einen Unterschlupf zu finden, in dem sie den Tag erwarten konnten.
Dann ging der Mond auf und gab ihnen ein wenig Licht, so daß Fanyi ihre Lampe aus der Vergangenen Zeit wieder ausschalten konnte. Etwa eine Stunde bevor die Dämmerung heraufzog, spürte Sander einen plötzlichen Temperaturabfall. Er schwitzte, und die frische Brise, die jetzt aufkam, ließ ihn frösteln. Sie hielten an, damit Fanyi ihren Mantel hervorholen konnte. Ihr Atem bildete weiße Wölkchen vor dem Mund.
Der Wechsel war so unerwartet gekommen, daß Sander sich fragte, ob wohl ein Sturm drohte. Doch so weit sie sehen konnten, bedeckte keine Wolke die Sterne über ihnen. Sie mußten unbedingt einen Unterschlupf finden.
Genau vor ihnen türmte sich eine dunkle Form hoch über den Boden, auf dem sie so mühsam vorwärtsliefen. Er strengte seine Augen an, um genauer zu sehen, was es sein konnte: eine frühere Insel, die jetzt wie ein Berg über der Ebene lag?
Fanyi leuchtete mit ihrer Lampe direkt auf den Anhänger.
„Hier entlang!“ Ihre Stimme klang bestimmt, und sie richtete den Lichtstrahl nach vorn, auf die dunkle Erhebung zu. Sie schien sich ihrer Sache so sicher, daß Sander bereit war, ihr diesmal, ohne eine Frage zu stellen, zu folgen.
Das verlassene Haus
Es dämmerte stärker, als sie am Fuß einer Klippe anlangten. Die Steinbrocken, die heruntergefallen waren, wiesen Spuren von Rost auf: Sander war überzeugt, daß über ihnen eine der Vergangenen Städte lag. Die Trümmer schienen anzudeuten, daß die Zerstörung schrecklich gewütet haben mußte – wenig Wertvolles konnte noch vorhanden sein.
Es war auch durchaus nicht sicher, ob ihnen der Aufstieg gelingen würde …
Falls diese Stadt einst die Schätze besessen haben sollte, nach denen Fanyi suchte, so würde sie jetzt sicher vergeblich danach forschen. Auch Sander spürte die Enttäuschung, obgleich
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