Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herrscher über den Abgrund

Herrscher über den Abgrund

Titel: Herrscher über den Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andre Norton
Vom Netzwerk:
– wirklich!
    Jetzt sang Sander die Worte der Schmiede laut vor sich hin. Er hatte nicht an Fanyis Macht geglaubt. Nun mußte er glauben, daß dies hier existierte, er würde es sonst doch nicht empfinden! Wieder und wieder sagte er seinem gequälten Körper, daß all dies nicht wirklich war. Es gab kein Feuer, keine Esse, und deshalb war das Ding, das er trug, auch nicht heiß. Kaltes Eisen … Kaltes Eisen …
    Diese beiden Worte vermischten sich mit den anderen Worten.
    Kaltes Eisen!
    Er war nicht sicher, wann die Hitze langsam abnahm, denn da war er beinahe besinnungslos und dachte nur einen einzigen Gedanken: daß das Eisen in Wahrheit kalt war.
    Sein Wollhemd unter der Felljacke klebte ihm schweißnaß am Körper. Er schwankte und konnte sich nur auf dem Rücken des Tieres halten, weil er sich in sein Fell verkrallte. Das Eisen war kalt!
    Rhin blieb stehen – oder hatte der Kojote bereits vor einiger Zeit aufgehört zu laufen, während er um sein Leben kämpfte? Der Schmied wußte es nicht. Er bemerkte nur, daß er aus dem Sattel glitt. Auf Händen und Knien kroch er unter die tiefhängenden Zweige einer Pinie. Dort fiel er sofort in einen Schlaf der Erschöpfung.
    Als Sander erwachte, konnte er zwischen zwei Zweigen den sonnenbeschienenen Fluß sehen. Er erinnerte sich an den sonderbaren Angriff. Rasch entfernte er das Band und untersuchte die Stirn mit den Fingern nach Brandwunden. Es gab keine Wunden. Er setzte das Band erneut auf. Vielleicht wäre er verwundet worden, wenn er an die Täuschung geglaubt hätte? Er fand es immer noch schwer, solche Dinge als Tatsachen hinzunehmen.
    Doch wer kennt schon die Wunder, über die die Vergangenen Menschen herrschten? Schon Fanyis Anhänger war weit mehr, als er jemals für möglich gehalten hatte. Und da war ihr Vater, der Fremde, den sie nie kennengelernt hat, der Mann, der kein Händler war, der aber auszog, um nach Wissen zu suchen. Sander hatte nie von jemandem gehört, der dergleichen unternommen hätte.
    Die Horde wanderte durch das flache Land, weil sie sich nach den Bedürfnissen ihrer Herde richten mußte, denn die Herde machte ihren Reichtum aus. Die Händler unternahmen lange Reisen, um Gewinn zu machen. Aber einen Mann, der nur wanderte, weil er wissen wollte, was jenseits des Hügels oder hinter dem Tal lag, konnte Sander nicht verstehen.
    Rhin! Sander blickte sich um. Der Kojote teilte nicht sein Lager mit ihm, wie er es gewöhnlich tat, wenn sie unterwegs waren. Auf dem Nadelteppich unter der Pinie fand er keine Spuren seiner Pfoten. Und Rhin trug noch sein Gepäck. Vorsichtig ging Sander hinunter zum Flußufer, kniete nieder und spritzte sich das eisige Wasser ins Gesicht. Dieser Schock machte ihn restlos wach.
    Sander hatte keine andere Wahl, deshalb pfiff er nach dem Kojoten. Er würde antworten, wenn er sich in Hörweite befand. Aber kein Bellen ertönte. Nur etwas war zurückgeblieben: zwischen den Piniennadeln lag der Drahtknoten, den er für Rhin gemacht hatte. Büschel hellen Fells waren darin zurückgeblieben, als ob Rhin sich verzweifelt von dem Amulett befreit hätte.
    War Rhin vor den Hunden der Händler geflohen? Einem Hund hätte er gefahrlos begegnen können. Aber wenn die Dorfbewohner eine ganze Meute losgelassen hatten, konnte es schon möglich sein, daß der Kojote vor der Überzahl der Feinde geflohen war, weil er sich nicht zu stellen wagte.
    Wenn das aber stimmte, warum war Sander dann nicht von den Händlern eingefangen worden? Sein Versteck unter der Pinie war keineswegs so sicher, daß ihn die Hunde nicht hätten aufspüren können. Vielleicht war Rhin auf Jagd gegangen? Aber Sander bezweifelte es eigentlich. Er hatte seinen Pfeilwerfer, sein langes Messer – und wenig sonst, außer seinen Kleidern, die er eigentlich gegen frische austauschen sollte, wenn er seiner Nase trauen durfte. Alles andere – Werkzeug und Nahrung – war mit dem Kojoten zusammen verschwunden.
    Sander wollte nicht in das Dorf der Händler zurückkehren. Er war überzeugt, daß im Westen die Antwort zu finden wäre. Gleichzeitig würde ihn dieser Weg fort von den Wasserwesen führen und fort von den Weißhäutigen.
    Sander trank in tiefen Zügen und versuchte auf diese Weise seinen Hunger zu vertreiben, dann kletterte er das niedrige Ufer hinauf.
    Die Sonne wurde wärmer, und Sander konnte die Kapuze abstreifen. Er mochte das bewaldete Gebiet überhaupt nicht, selbst wenn die Bäume weiträumig verteilt waren, – er blieb eben ein Flachländer …

Weitere Kostenlose Bücher