Herrscher
Dar wies Zna-yat an, ein flottes Tempo vorzulegen, dann ging sie neben Nir-yat am Ende der Kolonne. Sevren befand sich
gleich hinter Zna-yat: Er fühlte sich in der Gesellschaft des wortkargen Orks wohl. Sie marschierten schweigend durch den Tag. Gegen Mittag wurde der Weg leichter begehbar. Sie waren nun hoch im Gebirge, und das Tal, das sie durchwanderten, wurde breiter und fiel sanft ab. Hier war wenig Schnee gefallen, man konnte den Verlauf der Straße besser erkennen.
Nun, da der Marsch ihn weniger beanspruchte, begann Zna-yat ein Gespräch mit Sevren. »Was machst du, wenn du nicht für einen Großen Washavoki tötest?«
»Ich töte nur.«
»Das ist doch keine anständige Tätigkeit. Ich baue Getreide an.«
»Das würde ich auch gern tun, aber ich habe keinen Boden. «
Zna-yat lächelte. »Du meinst wohl Land. Mangelt es euren Müttern an Klugheit? Sie sollten euch Getreide auf ihrem Land anpflanzen lassen. Das ist doch besser als töten.«
»Nur die wenigsten Washavoki-Mütter besitzen Land.«
»Wem gehört es denn?«
»Denen, die …« Sevren fiel auf, dass er die orkischen Worte für »bezahlen« und »kaufen« nicht kannte und auch nicht wusste, ob es sie überhaupt gab. »Denen, die einem anderen für ihr Land etwas schenken.«
»Wem?«
»Einem Sohn, dem Land gehört«, erwiderte Sevren. »Ich kann niemandem etwas schenken, deswegen habe ich auch kein Land. Ich töte und kriege dafür kleine Geschenke. Irgendwann habe ich dann genug Geschenke, um es gegen Land einzutauschen.«
»Die Washavoki sind eigenartig. Und töricht.«
»Hai, Zna-yat, das sehe ich auch so.«
Zna-yat schritt eine Weile schweigend aus. Das, was Sevren ihm erzählt hatte, schien ihn verwirrt zu haben. Schließlich fragte er: »Welches Geschenk ist so gut wie Land?«
Statt sich auf eine Erklärung einzulassen, griff Sevren in seine Börse und schüttete zwölf Goldmünzen auf seine Handfläche. Es waren seine gesamten Ersparnisse. »Das hier«, sagte er.
Zna-yat grinste skeptisch. »Gelbe Eisenstückchen? Die sind Land wert? Wieso?«
Sevren musterte die Münzen. Zna-yats Sinn für das Absurde kam ihn völlig verständlich vor. Er sprach das Erste aus, was ihm einfiel. »Weil gelbes Eisen schön ist.«
»Hai«, erwiderte Zna-yat und rückte die Trageriemen seines Tornisters gerade. »Aber auch schwer.«
Sevren verstaute seine Münzen. »Ich glaube, die Urkzimmuthi sind klüger. Land ist besser als gelbes Eisen. Land schenkt Leben.«
»Mütter auch. Deswegen gehört ihnen das Land.«
Sevren malte sich aus, was Kol wohl mit dem Land der Yat-Sippe anstellen würde. Er wird es einem seiner Vasallen schenken. Irgendeinem Totschläger, der über Knechte gebietet, die das Land in seinem Namen bestellen. Und das meiste von dem, was sie ernten, nimmt er ihnen dann weg. Er stellte sich Sauf-und Fressgelage in der Großen Kammer der Feste vor, in denen man Kol als Herr und Gebieter des neuen Fürsten feierte. Die Vorstellung versetzte ihn in Wut. Dann fiel ihm auf, dass Zna-yat ihn anschaute. Er wittert meinen Zorn. »Ich glaube, kein Washavoki darf Urkzimmuthi-Land haben. Sie sind zu böse, um es zu besitzen.«
»Hai, Sevren. Das müssen wir verhindern.«
42
AM SPÄTEN NACHMITTAG, als die südlichsten Gipfel des Urkheit-Gebirges hinter ihnen lagen, bog die Kolonne nach Osten ab. Nun befand man sich auf dem Territorium der Urkzimmuthi. Hohe Bergketten trennten es vom Lebensraum der Menschen. Die sich in alle Richtungen erstreckenden Berge formten eine den Orks vertraute Landschaft. Gegen Abend erkannte auch Dar die Landschaft wieder. Hier war sie auf dem Weg zur Feste von Kovok-mahs Muthuri vorbeigekommen.
Sie ließ Nir-yat allein und schloss zu ihrem Bruder auf. »Du musst diesen Weg doch schon oft gegangen sein«, sagte sie.
»Hai, sehr oft«, erwiderte Zna-yat.
»Wenn wir ohne Pause weitergehen, wann sind wir da?«
»Kurz vor dem Morgengrauen.«
»Dann halten wir heute Abend nur kurz an, um etwas zu essen. Ich möchte, dass wir unser Ziel so schnell wie möglich erreichen.«
Zna-yat nickte. »Hai, Muth Mauk. Wenn du müde wirst, trage ich dich.«
»Das ist lieb von dir, aber es wird nicht nötig sein.«
»Bitte, Schwester, überschätze dich nicht.«
»Ich trage keine Rüstung und kein Gepäck. Ich schaffe das schon.«
»Ich glaube, du trägst die größte Last von allen, Muth Mauk.«
Dar lächelte traurig, sagte jedoch nichts. Als sie zu Nir-yat zurückkehrte, sprach Sevren sie in der Menschensprache an.
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