Herrscher
Menschensprache: »Es wäre
vielleicht umsichtig, weitere Späher auf die Neue Straße zu schicken, für den Fall, dass Auk-goth ein Missgeschick passiert ist.«
Dar nickte zustimmend. Ihr fiel ein, dass Tauma-yat zwei ungesegnete Söhne hatte, die im Sommer das Land bestellten und im Winter jagten. Sie bat darum, die beiden in ihr Hanmuthi zu bestellen. Dann wandte sie sich an Nir-yat. »Weise Königin Girta und Sevren Kammern in meinem Hanmuthi zu. Sie werden etwas brauchen, auf das sie sich legen können. Und Sevren braucht einen Platz für sein Pferd.«
»Ich kümmere mich darum. Ich werde auch Kammern für die Söhne finden, die uns begleitet haben. Auch kann ich eine Badewanne in die Kammer der Washavoki bringen lassen, wenn sie es möchten.«
»Thwa. Bei den Washavoki baden Mütter und Söhne getrennt. Außerdem weiß Girta nicht, welche Weisheit in der Reinlichkeit steckt. Ich werde es ihr morgen beibringen.«
Als Nir-yat ihre Vorbereitungen traf, begab Dar sich in ihr Hanmuthi. Ihre Erschöpfung kehrte zurück, doch sie wartete auf Tauma-yats Söhne. Als sie eintraten, befahl sie ihnen, auf der Neuen Straße nach Washavoki Ausschau zu halten. »Nähert euch ihnen so, als wären sie Hasen«, sagte sie. »Sie dürfen euch nicht sehen. Wenn ihr sie findet, vergesst nicht, dass ich Wissen brauche, keinen Kampf. Ich möchte wissen, wie viele sie sind und ob sie lagern oder marschieren. Wenn sie marschieren, muss ich wissen, wie schnell. Merkt euch, wo sie sind und was sie gerade tun. Findet heraus, ob noch mehr Washavoki über die Passstraße kommen. Wenn ihr all dies wisst, kommt schnell zurück. Diese Feste ist in Gefahr, und ich brauche euer Wissen, um zu entscheiden, welchen Kurs wir einschlagen sollen.«
Nachdem die Söhne gegangen waren, zog Dar die Stiefel aus. Ohne sich weiter auszukleiden, fiel sie aufs Bett. Sekunden später war sie eingeschlafen.
In dieser Nacht schlotterte der Herrscher des Ostreiches, die Königliche Majestät Kregant III., unter einem Schlafpelz und lutschte an seinem Daumen. Der Wind schlug gegen sein dunkles Zelt und ließ die Eingangsklappe laut klatschen. Doch es war nicht der Lärm, der den Knaben am Einschlafen hinderte: Er befürchtete, sein aus Stoff bestehendes Quartier könne von dem Bergkamm, auf dem es stand, in die Tiefe gerissen werden, und er mit ihm. Seine diesbezüglichen Bedenken hatte General Kol heruntergespielt, und zwar auf eine Weise, dass er sich nun wie ein Blödmann vorkam.
Der König sehnte sich entsetzlich nach seiner Mutter. Zwar war sein Aufbruch von Taiben prunkvoll ausgefallen, doch konnte er dem Krieg schon jetzt nichts mehr abgewinnen. In der prächtigen neuen Rüstung auf einer schwarzen Stute sitzend hatte er sich wie ein echter Kriegsheld gefühlt. Die Volksmassen hatten ihm zugejubelt. Ermutigende Rufe und Lobpreisungen hatten sein Herz vor Entzücken hüpfen lassen. Doch der lange Ritt zum Gebirgspass hatte dieses Gefühl untergraben.
Den ganzen Tag über hatte ein eiskalter Wind geweht. Die kaum nennenswerte Wintersonne hatte die Qualen der Kälte nicht erträglicher gemacht, und der Eisenpanzer machte alles noch schlimmer. Das schwere Kettenhemd saugte die Wärme aus seinem Körper – trotz seiner wollenen Unterwäsche. Der Helm war noch schlimmer! Sein Atem gefror auf ihm. Er hatte sich wie von Eis umgeben gefühlt. Der Schnee behinderte ihr Vorankommen furchtbar.
Je steiler die Straße nach oben ging, umso gefährlicher wurde sie. Ein Sustolum seiner Einheit war von seinem Pferd zerquetscht worden; es war ausgerutscht und einen Abhang hinabgestürzt. Eine Schildron hatte eine Lawine ausgelöst und war von ihr verschluckt worden.
So schlimm diese Umstände schon waren – andere deprimierten den kindlichen König noch mehr: Die Söldner murrten und musterten ihn mit scheelen Blicken. Die Männer, die ihm auf dem Palasthof zugejubelt hatten, nannten ihn nun so laut, dass er es hörte, »das Balg« und »die kleine Rotznase«. Der General überhörte ihre Respektlosigkeit, denn auch er hatte sich verändert. Dies war möglicherweise der schlimmste Schicksalsschlag. Jetzt, da sie Taiben verlassen hatten und sich unter Kriegern aufhielten, war General Kol nicht mehr der dienstbeflissene Freund des Königs. Nun führte er sich auf, als sei er der Herrscher. Er war zwar noch höflich, doch seine Förmlichkeit klang irgendwie spöttisch. Sowohl er als auch die Söldner überhörten die Wünsche des Königs. Kregant hatte immer mehr
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