Herrscher
sie eine tiefernste Miene. Nir-yats Gesichtsausdruck spiegelte Kummer wider, doch auch Schicksalsergebenheit. Beide nahmen Königin Girta beiseite, und Dar führte ein längeres Gespräch mit ihr, das sie für Nir-yat ins Orkische übersetzte. Danach sprachen alle drei mit Sevren. Anschließend verließ Sevren die Schar.
Die Orks beobachteten all diese Vorgänge, ohne sie zu begreifen, aber sie sahen, dass irgendetwas bevorstand. Als Sevren fort war, rief Dar alle zusammen. Sie und Nir-yat stellten sich in die Mitte der Versammlung, in deren Kreis sie allerdings voneinander Abstand wahrten. Dann ergriff Dar mit lauter, deutlicher Stimme das Wort.
»Das Fathma ist Muth’las Geschenk an die Urkzimmuthi. Die Mutter, die diesen Geist empfängt, steht Muth’la am nächsten. Ihre Worte sind Worte der Weisheit. Man muss ihnen gehorchen. Seit Langem wird Müttern unserer Sippe diese Gabe zuteil, und jede Königin reicht sie an ihre Nachfolgerin weiter.« Dar zählte die Namen sämtlicher Königinnen auf und nannte zuletzt den ihren. »Muth’la wohnt in meinem Brustkorb und hat mir überdies Visionen gesandt. Daher weiß ich, welchen Weg ich gehen muss. Der Weg wird vielleicht den Frieden bringen. Oder er endet mit meinem Tod. Ich weiß nur, dass er gefährlich ist; zu gefährlich, um Muth’las Geschenk aufs Spiel zu setzen. Darum hat Muth’la eine andere Mutter erwählt, der das Fathma zufallen soll. Diese Mutter ist Nir-yat.« Beim letzten Wort streifte Nir-yat den Umhang ab und stand mit nacktem Busen da. Dar legte ihrer Schwester die Hände auf die Brüste. Unverzüglich kribbelte es in ihren Fingern. »Möge das Fathma in Nir-yat übergehen.«
Dar sah, dass Nir-yats Augen groß wurden. Ihre eigenen Empfindungen fielen ihr ein, als sie das Fathma empfangen
hatte. Sie hatte Wärme gespürt, den Eindruck überfließender Kräfte und murmelnder Stimmen gehabt. Das Fathma weiterzugeben, war etwas ganz anderes. Sie fühlte sich ausgelaugt und hohl. Stille schien die Welt zu erfüllen. Dar erlebte ein tiefes Verlustgefühl. Sie nahm die Krone vom Kopf und setzte sie ihrer Schwester auf. Die Mutter namens Nir-yat gab es nicht mehr. Sie war zu Muth Mauk geworden.
»Meine Zeit ist vorüber«, stellte Dar fest. Stumm löste sich die Versammlung auf. Dar schritt durch die Reihen der Orks. Der Brauch verlangte, dass fortan niemand mehr sie anschaute. Viele beugten sich ihm nur widerwillig, schenkten ihr, weil sie Zuneigung für sie empfanden, einen letzten Blick. Doch schließlich mieden alle Augen sie, und unversehens schien es Dar, als wäre sie unsichtbar. Als sie aus der Mitte trat, verbeugten sich die Orks vor ihrer neuen Königin. »Tava, Muth Mauk«, riefen sie im Chor.
Sevren und Königin Girta standen abseits. Dar ging zu ihnen. Sevren wirkte ernst, ja traurig. Girta hatte offenkundig Furcht.
»Ich glaube, ich habe passende Söldnerkluft gefunden«, sagte Sevren. »Ihr solltet sie sofort anprobieren. Die Stiefel sind ziemlich groß, aber man kann Lappen hineinstopfen.«
Dar rümpfte die Nase. »Bestimmt stinkt das Zeug nach Washavoki.«
»Daran lässt sich nichts ändern«, entgegnete Sevren. »Du wirst Skymere reiten, also kann man annehmen, dass du sie nicht lange tragen musst. Die Königin besteigt das Pferd des Gefangenen.«
Sevren führte die Frauen durch den Wald zu einem Haufen Leichen. Daneben lagen zwei Stapel: Kleider, Ausrüstung, Panzerung. Dar entblößte sich bis auf das Hemd, das sie in Taiben getragen hatte, und die Unterwäsche, dann
hüllte sie sich in die militärische Kleidung. An dem Stoff klebte Blut, und er stank schlimmer als erwartet. Alle Teile waren ihr zu groß, aber nicht übermäßig. Zuunterst trug sie nun ein dreckiges langärmeliges Kittelhemd aus Wolle, darüber ein gepanzertes Wams aus hartem Leder. Auf Schultern und Brust waren Metallplatten genäht. Die wollene Hose hatte dicke lederne Knieschoner. Sie war viel zu lang, ließ sich aber in die schweren Stiefel stopfen. Die Stiefel waren so groß, dass Dar ihre Waden dick mit Stoffstreifen umwickeln musste, bevor sie darin laufen konnte. Ein mit Eisen verstärkter Lederhelm verbarg ihr langes Haar und das Brandmal. Ein übel riechendes Halstuch bedeckte ihre Sippentätowierung. Ein zerfledderter Umhang vervollständigte die Kluft.
Als sie vollständig umgekleidet war, zeigte sie Sevren das Ergebnis. »Im Dunkeln kannst du als Söldner durchgehen. Du brauchst bloß noch ein Schwert.«
»Damit kann ich nichts anfangen, aber
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