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Herrscher

Herrscher

Titel: Herrscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howell Morgan
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Kuppel aufgehalten hatte. Mit dem strengsten Tonfall, zu dem sie fähig war, sprach sie den Fremden an, der kaum mehr als eine schemenhafte Erscheinung zu sein schien. »Zeige dich. Was treibst du hier?«
    Die Gestalt stand auf und kam näher. Im düsteren Licht erblickte Dar einen gebrechlichen Greis mit langem weißen Bart. Er trug ein zerfleddertes graues Gewand. Ehrfürchtig musterte Dar ihn. »Velasa-pah?«
    Das faltige Gesicht des Zauberers zeigte tiefen Ernst. »Hüte dich vor den Knochen«, sagte er in der Sprache der Menschen und verbeugte sich.
    »Die Knochen sind vernichtet worden«, gab Dar zur Antwort.
    Es hatte den Anschein, als wolle Velasa-pah etwas erwidern, da prallte auf einmal ein Steinklotz auf den Fußboden.
    Dar hob den Blick. Das Loch in der Decke war nicht mehr rund. Am Rand war eine Lücke entstanden, als ob ein Zahn fehlte, und der Himmel hatte sich orangerot gefärbt. Vor ihren Augen fiel ein zweiter Stein herab.
    Nun vergrößerte die Öffnung sich rasch, da immer mehr Steinblöcke sich lösten und herabsausten. Das gesamte Gewölbe drohte zusammenzubrechen.
    Dar hastete zur Tür hinaus, um nicht zerschmettert zu werden.
    Als sie ins Freie rannte, umloderte Feuer den Innenhof. Der ganze Familiensitz brannte lichterloh. Gewaltige Flammen
wallten zu dem vom Rauch geschwärzten Himmel empor. Gepolter fallender Steine begleitete das Knistern und Brausen des Feuers, aber man hörte keine Stimmen.
    Schon war der Schnee des Innenhofs geschmolzen, die Büsche schwelten. Hinter sich hörte Dar ein Krachen. Sie fuhr herum und sah Muth’las Kuppel einstürzen. Es schien, als stünde dem Familiensitz insgesamt das Gleiche bevor.
    »Muth Mauk«, rief eine Stimme. Dar drehte sich um und sah Deen-yat aus dem brennenden Gebäude kommen. Sie wirkte völlig gelassen. »Du solltest dich nicht in der Kälte aufhalten«, sagte die Heilerin im Ton einer gelinden Schelte. »Komm hinein.«
    Dar wollte antworten, dass im Familiensitz ein Brand wütete, da erkannte sie, dass sie sich irrte.
    Ich habe eine Vision, dachte sie und hoffte, dass diese gleich ein Ende fand. Tatsächlich verblassten die Flammen, der scheinbar vom Qualm schwarze Himmel wurde wieder grau.
    Ohne hinzuschauen wusste Dar, dass Muth’las Kuppel noch stand. Jedenfalls vorerst noch, dachte sie. Dann folgte sie Deen-yat, ohne sich umzublicken, in den Familiensitz der Yat-Sippe.

8

    DIE FLAMMEN hatten so echt gewirkt, dass Dars Stirn gerötet und schweißnass war.
    Deen-yat glaubte, sie hätte Fieber. Sie brachte Dar ins königliche Hanmuthi und wies sie an, sich Ruhe zu gönnen. Dar widersprach nicht, beharrte aber darauf, allein zu bleiben. Sie fühlte sich tief aufgewühlt und brauchte Zeit, um sich zu sammeln. Ihre Zusammenkunft mit Meera-yat, die so vielversprechend angefangen hatte, hatte ihre Verunsicherung nur erhöht. Sie befürchtete, dass ihr längst ein Fehler unterlaufen und die Vision ein Ausblick auf die Folgen war.
    Lange Zeit konnte Dar nur an den brennenden Familiensitz denken. Sie durchlebte die Vernichtung noch mehrere Male, bis der Schreck allmählich abstumpfte. Erst danach machte sie sich Gedanken über eine mögliche Deutung der Vision. Sie vermutete, dass es einen Zusammenhang mit der Aussprache mit Meera-yat gab, die völlig ruhig geblieben war, bis sie die Pah-Sippe erwähnt hatte.
    Vielleicht war das der Grund, weshalb sie die Vision von Velasa-pah und der Zerstörung des Familiensitzes unmittelbar
nach Meera-yats erregtem Abgang gehabt hatte. Sie hielt es für glaubhaft. Allerdings verwirrte diese Annahme sie noch mehr.
    Sie musste in Erfahrung bringen, was bei Meera-yat diese Verstörung ausgelöst hatte. Anscheinend verhalfen ihr offene Fragen nicht zu Antworten.
    Dar fiel das Märchen von Cymbe ein, dem Mädchen, das fortlief, um bei einem Bären zu leben. Cymbes Einfalt hatte sie ins Verderben gestürzt. Erfahre ich nicht, was all das zu bedeuten hat, ist mir das Verhängnis ebenso gewiss. Als Dar ihre Lage durchdachte, empfand sie sie als gänzlich hoffnungslos. Sie benötigte eine Mutter, die sie anleitete, aber weder durfte sie ihrer Muthuri trauen noch Muth-yat.
    Sie entsann sich an den Rat der verstorbenen Königin: »Wenn du Muth Mauk bist, folge stets nur deinem Brustkorb. «
    Doch ein unruhiger Brustkorb war ein schlechter Führer.
     
    Königin Girta musterte Lokung voller Widerwillen. Sie misstraute dem Haushofmeister wie allen Höflingen ihres verstorbenen Gemahls. Die Tatsache, dass sie ihn brauchte,

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