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Herrscher

Herrscher

Titel: Herrscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howell Morgan
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verminderte sich die Intensität der Erinnerungen, und Dar lernte, mit ihnen so leicht wie mit dem eigenen Gedächtnis umzugehen.
    Noch während sie unter dem Ansturm litt, erkannte sie ihren Wert. Sie erwiesen sich als eine eigentümliche Art ungeordnet angehäuften Wissens. Irgendwelche Aufschlüsse, wie man dies oder jenes anpacken sollte, waren nicht dabei.
Vielmehr umfassten sie bunt gemischte Eindrücke der verschiedensten Angelegenheiten, die sie mit ihren Untertanen gemeinsam hatte, und ermöglichten ihr ein Verständnis der Ork-Geschichte, das weit über bloße Tatsachen hinausging. Manchmal war ihr zumute, als hätte sie selbst in den damaligen Zeiten gelebt, und so sammelte sie Erfahrungen, die andernfalls dem Vergessen anheimgefallen wären.
    Einmal sah sie durch die Augen der verstorbenen Nir-yat deren gleichnamige Schwester – als Kleinkind, das nackt über eine Wiese voller gelber Brak-Blüten stapfte. Als die Erinnerung verflog, ergriff Dar voller Zuneigung Nir-yats Hand. »Deine Großmutter hat dich sehr geliebt.«
     
    Vier Tage nach Erhalt der neuen Kefe fühlte sich Dar imstande, die erste Festlichkeit zu veranstalten. Nach altem Brauch war es das üppigste Fest, zu dem die Ärmsten des Familiensitzes geladen wurden. An jedem weiteren Tag kam dann ein anderes Hanmuthi an die Reihe, bis zum Schluss die Familie der Sippenmatriarchin ein bescheidenes, alltägliches Mahl erhielt.
    Nachdem Dar die umfangreiche Speisenfolge mit Gar-yat, der Oberköchin der Gemeinschaftsküche, durchgesprochen hatte, sah sie mit Nir-yat noch einmal die Gästeliste durch. Inzwischen konnte sie sie selbst lesen und merkte sich sorgfältig jeden Namen. Zum Schluss erzählt Nir-yat ihr, was sie über die einzelnen Gäste wusste.
    Dar erfuhr, dass Tauma-yats Familie im kleinsten Hanmuthi des Familiensitzes wohnte. Es lag im ältesten Teil der Siedlung und hatte dreiundvierzig Bewohner, da Tauma-yat dort mit drei Schwestern und einem ungesegneten Bruder lebte. Tauma-yat hatte vier Töchter, von denen drei schon gesegnet waren und eigene Kinder hatten. Außerdem hatte
sie zwei erwachsene, aber noch ungesegnete Söhne. Tauma-yats Schwestern waren älter als sie, hatten jedoch jede nur eine Tochter. Deshalb stand das jüngste der Geschwister dem Hanmuthi vor.
    Die verwickelten Regeln der Rangordnung waren Dar undurchschaubar geblieben, bis die Erinnerungen kamen. Dann ergaben sie plötzlich, so wie das Lesen und Schreiben, einen Sinn.
    Während das Fest näher rückte, nahm Dar ein Bad, färbte ihre Nägel und Brustwarzen, schwärzte die Zähne und zog die neue Kleidung an. Ihr rotbraunes Haar war so lang geworden, dass Nir-yat es zu einem fünfstrangigen Zopf flechten konnte, um den sie ein talmaukifarbenes Bändchen knüpfte, Zum Abschluss setzte sich Dar die Krone auf den Kopf, einen schlichten Goldreif, und wartete voller Unruhe auf die Gäste.
    Doch sobald sie sich einfanden, verwandelte sich Dars Beunruhigung in Zuneigung.
    Sie alle sind meine Kinder, dachte sie, während sie alle der Reihe nach mit Namen begrüßte.
    Als sämtliche Gäste auf Sitzpolstern im königlichen Hanmuthi saßen, nahm Dar auf dem Lehnstuhl der Königin Platz, und ein wahres Heer von Söhnen trug die Speisen herein. Sofort durchwehten köstliche Düfte die Räumlichkeit.
    Das Hauptgericht bestand aus Tahweriti, kleinen Vögeln, die man mit Dörrobst und Brak gefüllt und dann über einem Feuer, in dem auch Kräuter schwelten, langsam geröstet hatte. Ferner gab es Scheiben würzig gespickten Ziegen-und Lammfleischs, fünf verschiedene Eintöpfe, Trockenfrüchte, Hartmilch, in gewürztem Öl gebackene Gemüse, gebratene Pashi, Süßigkeiten sowie Kannen voller Kräutersud,
heißen wie kalten. Einer der Eintöpfe war Muthtufa, das Gericht, das Velasa-pah in seiner einsamen Hütte zubereitet hatte. Der Duft erinnerte Dar an ihre erste Begegnung mit dem Zauberer.
    Als das Essen fertig war, erhob sich Dar vom Lehnstuhl. »Essen ist Muth’las Geschenk«, sagte sie.
    »Shashav, Muth’la«, antworteten alle Anwesenden im Chor.
    Anschließend servierte Dar, wie es sich für eine Muthuri gehörte, eigenhändig den Festgästen den ersten Gang. Nachdem sie jedem Gast einen gerösteten Vogel gereicht hatte, halfen Tauma-yat und ihre Schwestern Dar beim Austeilen des zweiten Gangs. Danach machten, wie es in einer Familie üblich war, auch deren Töchter mit. Als jeder Teller randvoll mit Leckereien war und jeder Becher gefüllt, begann der Festschmaus.
    Eine

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