Herrscher
»Willkommen in meinem Kriegsrat, Tolum Kol. Sei meines vollständigen Rückhalts versichert.«
Kol verneigte sich, sein Mund deutete ein Feixen an.
»Das Essen ist fertig«, verkündete Balten, als ob er sich vor der Mahlzeit fürchtete. Zwei Diener öffneten die Tür zum Speisezimmer.
Kol ging gemeinsam mit den anderen hinein. Obwohl im großen Kamin ein Feuer bullerte, war es drinnen kalt. Am Kopfende der Festtafel saß jemand mit einer silbernen Maske und aus Silber geschmiedeten Händen.
Kol zog den Rückschluss, dass es Othar sein musste, und verbeugte sich vor ihm.
Die Maske neigte sich geringfügig, doch aus dem Halblächeln ihrer Lippen drang kein Laut. Anscheinend belastete das Schweigen das Gemüt sämtlicher Begleiter Kols, nur Gorm nicht. Er wirkte völlig gelassen. Kol versuchte seinem Vorbild zu folgen, brachte aber nicht das gleiche Maß an stiller Heiterkeit zustande.
Bedienstete trugen Speisen und Wein ins Zimmer. Alle machten einen niedergedrückten, furchtsamen Eindruck – mit der Ausnahme einer jungen Frau. Ihr Gesicht war ausdruckslos, und an jedem Handgelenk hatte sie einen blutigen
Verband. Sie blieb an Othars Seite stehen, während die übrigen Diener gingen.
Endlich ertönte eine Stimme hinter der Maske und brach das Schweigen. »Ihr alle habt durch mein Wohlwollen Vorteile genossen.« Kurz wandte sich die glänzende Maske jedem Anwesenden zu; nur Gorm blieb ausgenommen. »Heute Abend sollt ihr erfahren, welche Gegenleistung ich fordere. Die Geheimnisse, die ich enthülle, werden diesen Raum nicht verlassen. Aber bevor ich sie euch erläutere, wollen wir uns eine Stärkung gönnen.«
Zwar hatte man die Teller der Gäste mit leckeren Speisen gefüllt, aber vor dem Zauberer stand lediglich eine Schüssel mit Deckel. Kol fragte sich, wie Othar essen wollte, denn seine Hände sahen wie reine Zierstücke aus, und die Mundöffnung der Maske war viel zu klein vor, um der Ernährung dienlich zu sein.
Gleich erhielt er auf diese Frage eine Antwort. Die Frau mit dem ausdruckslosen Gesicht entfernte an den Seiten der Maske zwei Stäbe. Oben hatte die Maske ein Scharnier, und nach dem Entfernen der Stäbe ließen sich Vorder- und Rückseite hochklappen. Die Frau nahm Othar die Maske ab und entblößte seinen Kopf.
Der Anblick erwies sich als ebenso grausig, wie Kol es schon von anderen verkohlten Leichen kannte, allerdings hätte er sich erheblich wohler in seiner Haut gefühlt, wäre dieser Leichnam nicht noch am Leben gewesen.
Doch noch stärker überraschten ihn Voltar und Lokung. Sie waren gänzlich verdutzt.
»Othar?«, rief der General. »Bist du das?«
Mit fahlem Gesicht starrte Lokung den Zauberer aus aufgerissenen Augen an. »Du … bist doch tot. Ich hab’s mit eigenen Augen gesehen.«
»Ich auch«, sagte der General. »Wie ist so etwas möglich? «
»Mein Leben wurde bewahrt, damit ich zu neuer Größe gelangen kann. Eines Tages wird man mich Othar den Ork-Banner nennen, den Mann, der die Welt von den Pissaugen gesäubert hat.«
Die Frau hob den Deckel von der Schüssel, sodass man darin einen dunkelroten Suppeneintopf sah. Othar lächelte, in dem kohlschwarzen Fleisch schimmerten seine Zähne. »Esst, esst … Wir unterhalten uns später.« Nun nahm die Frau einen Löffel und fütterte Othar.
Kol zwang sich, von seinem Essen, das zügig abkühlte, einiges zu verzehren. Von den restlichen Gästen zeigte nur Gorm guten Appetit. Der General stocherte bloß herum, während Lokung und Balten ihr Essen stumm beglotzten, ohne es anzurühren.
Beim Essen schaute Kol den Magier mit vollem Vorsatz regelmäßig an, weil er nicht als feige beurteilt werden wollte. Der »Suppeneintopf«, den Othar zu sich nahm, war eine rote Brühe mit Fleischstückchen. Das Fleisch sah roh aus, und die Brühe ähnelte Blut. Als Kol diesen Gedanken hatte, würdigte der Zauberer ihn eines verschwörerischen Lächelns.
Dank genaueren Hinschauens zog Kol den Schluss, dass kein gewöhnliches Feuer den Zauberer verbrannt hatte. Obwohl seine Nase und Ohren dahin waren und seine Haut verkohltem Schweinespeck glich, hatte sie ihre Beweglichkeit behalten und erlaubte es ihm unvermindert, Grimassen zu schneiden.
Er ist verwandelt, dachte Kol, nicht verbrannt.
Othar nickte, als wisse er, was Kol dachte.
Kann er meine Gedanken erkennen?
Wieder nickte Othar.
Hast du diese Frau durch Magie versklavt?
Zur Antwort grinste Othar.
Kaum war Othar mit dem Essen fertig, endete die Mahlzeit. Balten läutete mit
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