überhaupt unerträglich viel recht. Auch damit, dass ich eigentlich wenig über mich schreibe, obwohl ich nur von mir rede. Auch das wird mir erst jetzt bewusst! Zu meiner Ehrenrettung kann ich nur sagen, dass diese Schweigsamkeit wohl daran liegt, dass ich mich an einem Punkt in meinem Leben befinde, in dem ich mich in eine Schale verkrochen und abgekapselt habe. Ich warne Dich also: Du hast es mit einem zurückgezogenen Freak zu tun, der sich privat lediglich mit seiner Mutter, seiner durchgeknallten Nachbarin und einem ehemaligen Kollegen trifft, um einmal die Woche Squash zu spielen.
Denkpause.
Mein Gott, Dein letzter Brief löst wie eine Lawine lauter alte, verkrustete Erdschichten von mir ab. Als ich den letzten Satz vor der Denkpause noch mal las, fiel mir noch etwas Fürchterliches auf: Ich glaube, ich bin wirklich etwas freakig. Ich hoffe, Du fühlst dich nicht schon wieder an irgendwelche Patienten erinnert. Bin ich ein Fall für den Psychologen? Ich habe nämlich vor drei Wochen angefangen, meinem Squash-Kollegen zu erzählen, dass ich jetzt eine Freundin habe. (Ich habe einfach unsere Geschichte ein bisschen so hingedreht, dass wir uns schon getroffen haben und wir uns nett fanden usw.) Ich glaube, ich habe das gemacht, um vor Norbert (so heißt der Squash-Partner) etwas normaler zu erscheinen. Nun stelle ich aber fest, dass ich vielleicht vor Norbert normaler erscheinen mag, in Wirklichkeit aber alles andere als normal bin. Ich erzähle meiner Mutter Märchen über meine Welt, und jetzt fange ich auch schon anderen Menschen gegenüber an. (Panik!)
Das muss sich ändern! Ich nehme mir hiermit vor, meinem Ex-Kollegen am Donnerstag alles zu beichten, außer Du rätst mir als Psychologin oder Brieffreundin davon ab. Bist Du vielleicht gerade am anderen Ende des Computers und hättest Lust, mit mir zu chatten? Es würde mir irgendwie guttun.
Liebe Grüße und danke für Deine offenen Worte. Sie haben mich auf den Boden der Welt zurückgeholt.
Dein Berti
PS . In der nächsten Mail erfahren Sie, werte Leserin, Näheres über Bertis Ex-Freundinnen und seine Zeit, bevor er ein Freak wurde (oder wie seine Mutter sagen würde, ein Freck).
PPS . Nicht, dass hier Missverständnisse aufkommen: Dir erzähle ich keine Märchen! Ich erzähle vielleicht nicht viel, aber was ich erzähle, ist wahr und ehrlich. Es ist mir wichtig, dass Du das weißt.
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Sa 19. November 17:30
Betreff: Berti meldet sich kurz ab
Von:
[email protected] An:
[email protected] Liebe Sara,
offenbar sitzt Du nicht am Computer. Oder Du willst gerade nicht mit mir sprechen. Schade. Aber ich akzeptiere das voll und ganz. Wollte Dir nur sagen, dass ich jetzt kurz das Haus verlasse und in zwei Stunden wieder da bin.
Falls Du dann noch chatten willst, würde ich mich freuen.
Dein Berti
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Sa 19. November 21:30
Betreff: Ich bin ganz cool
Von:
[email protected] An:
[email protected] Liebe Sara,
heute ist mein Einkaufs- und Putztag. Im Supermarkt habe ich mir frischen Fisch (Dorade) gekauft, weil ich mir heute Sushi machen will. Ich habe noch nie Sushi gemacht, und daher passt der Vorstoß zum morgigen Besuch bei meiner Mutter im Heim. (Jedes Mal ein kleines Abenteuer, Du weißt schon.)
Eigentlich müsste ich den Fisch dann natürlich erst morgen machen, aber wer weiß, ob er dann noch frisch ist. Ich weiß sowieso nicht, ob ich wirklich rohen Fisch essen will, aber ich versuche es. Ich versuche es, ich versuche es, ich versuche es.
Wärst Du hier, könntest Du riechen, wie schön es bei mir duftet. Die Wohnung glänzt, Musik hallt durch die Räume, und alles ist
smooth
, wie die Amerikaner sagen würden. Ich habe mir einfach vorgestellt, Du kämst am Abend vorbei und ich würde die Wohnung für unser erstes Date aufräumen. Ab dem Zeitpunkt hat es Spaß gemacht.
Aber ich will nicht ablenken. Ich hatte in meiner letzten Mail mehr Auskunft über mich angekündigt, und die soll nun folgen. Wo fange ich an? Bei meiner Beziehung zu Frauen? Na gut, aber ich sage es Dir gleich: Ich bin ein Spätzünder. Meine erste Freundin hatte ich erst mit 18, und die Dame musste mir auch noch zeigen, wie man Zunge küsst. Sie hieß Karin und wohnte in meiner ersten Wohnung über mir. Ich hatte sehr früh eine eigene Wohnung, denn meine Mutter und ich wohnten damals ziemlich außerhalb, und als meine Ausbildung zum Versicherungskaufmann zu Ende war (ich war