Herz auf Umwegen
ließ das Heftchen sinken, aus dem sie vorgelesen hatte, und schaute die beiden anderen fragend an.
»Ja, super«, stimmte Grit zu. »Was sagst du, Katja?«
»Hm, klingt beschaulich. Wie lange fahren wir zum Startpunkt?«
Janny schaute erneut ins Heft, wackelte mit dem Kopf. »Schätzungsweise eine Dreiviertelstunde.«
»Ist doch perfekt«, ließ Grit sich vernehmen. »Plus eine Stunde Pause, plus eine Stunde Unvorhergesehenes, alles in allem knapp acht Stunden. Eine gute Tagestour, ohne dass wir so früh aufstehen müssen. Wenn wir um zehn losfahren, sind wir rechtzeitig zum Grillen abends zurück.«
Das klang für alle gut und somit war der erste Tag durchgeplant. »Unterwegs treffen wir sicher andere Urlauber, die uns den einen oder anderen Ausflugstipp geben können. In jedem Fall würde ich gerne eine Fjordfahrt machen«, sagte Katja genüsslich kauend.
»Ich kann im Internet nachsehen, was es da so in der Nähe gibt«, bot Janny an.
»Wäre es nicht aufregender, von einem Kanu aus die Berge zu bestaunen? Beim Flusspaddeln?« Grits Augen leuchteten.
Katja stöhnte innerlich. Manchmal fühlte sie sich von Grits Energie ein wenig überfordert. Dass dies hier Aktivferien werden würden, hatte sie schon geahnt. Bergwandern war ja auch okay, aber paddeln? Das bedeutete nicht nur Muskelkater in den Beinen, sondern auch noch in den Armen!
»Okay, aber dann bestehe ich auf einem anschließenden Faulenzertag, um meinen armen geschundenen Knochen eine Pause zu gönnen. Ein Tag im Liegestuhl, auf dem Badesteg.«
»Oh ja, dafür bin ich auch«, kam unerwartete Zustimmung von Janny.
Grit fügte sich widerstandslos. »Na gut, wenn ihr wollt. Vielleicht gelingt es uns ja, ein paar Fische zu angeln, während wir da so faul rumsitzen. Ich habe mir von einem Freund eine Angel geborgt. Mit ein bisschen Anfängerglück können wir selbst gefangene Forelle braten.«
»Und mit weniger Glück kaufen wir einfach welche im Ort«, fügte Janny lakonisch hinzu.
Katja lehnte sich zufrieden im Sessel zurück. Ja, das klang tatsächlich nach schönen Ferien. Für den Moment war sie sogar geneigt zu akzeptieren, dass sie eine zu viel waren. Katja fühlte sich einfach entspannt und freute sich auf die kommenden Tage. Außerdem war sie trotz allem optimistisch, dass dieser Urlaub gut für sie enden würde. Für sie und Grit!
Katja schloss die Augen und stellte sich vor, wie sie mit Grit am See entlang spazierte. Allein! Hand in Hand. Irgendwann würden sie stehen bleiben, einander ansehen. Ihre Gesichter kämen einander näher, sie würde Grits Haar berühren, ihre Wange streicheln …
»Was ist das?«, riss Jannys Stimme Katja aus ihrem Tagtraum. Katja öffnete verärgert die Augen und schaute in Jannys lauschendes Gesicht. Jetzt stand Janny auf. »Ein Auto?«
Auch Grit erhob sich. Katja folgte den beiden nach draußen, wo ein Jeep mit laufendem Motor stand. Ein Mann stieg aus, mindestens eins neunzig groß, blondes, kurzes Haar, Bartstoppeln im Gesicht. Seine Kleidung glich der eines Waldarbeiters, der allerdings Handschuhe, Motorsäge und Schutzhelm zu Hause gelassen hatte. Die Ärmel seines Hemdes waren hochgerollt.
»Guten Tag«, grüßte er.
»Guten Tag«, erwiderte Grit.
»Ich bin euer Nachbar, Haakon Nilsson. Mein Haus liegt nicht weit von hier.« Er wies zum Wasser hin und ließ den Arm nach links schwingen. »Dort am Ufer entlang, knappe fünfhundert Meter. Mein Hund ist einem Reh nachgejagt. Ich suche ihn. Habt ihr einen schwarzen Labrador gesehen?« Er sprach in gutem Deutsch, fast akzentfrei, und gebrauchte ganz landestypisch und selbstverständlich das Du.
»Wir sind gerade erst angekommen«, gab Janny Auskunft. »Ein Hund ist uns nicht aufgefallen, oder?« Sie blickte sich zu Katja und Grit um. Die schüttelten mit dem Kopf.
»Schade. Ich bin etwas in Sorge, wisst ihr. Dass ihn ein Wolf erwischt hat oder ein Bär.«
»Oh Gott, gibt es die hier etwa?«, fragte Grit erschrocken.
»Eigentlich nicht so weit unten. Aber es kommt vor, dass ein Tier sich verirrt. Bären öfter als Wölfe. Dann suchen sie die Nähe des Wassers, um sich einen Fisch zu fangen.« Haakon Nilsson lächelte breit, sodass Katja den Verdacht hatte, er übertreibe ein wenig.
»Wenn wir den Hund sehen, unter welcher Nummer können wir uns melden?«, fragte Janny.
»Oh ja, natürlich.« Nilsson steckte den Oberkörper
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