Herz auf Umwegen
schaute zum Himmel, wo die Laute herkamen. Über den Bäumen kreiste, mit weiten braunen Schwingen, ein Adler. Trotz seiner Größe wirkte der Raubvogel in seinem Flug leicht und elegant. Katja setzte sich auf, schaute ihm eine Weile nach und dann auf Janny neben sich. Die schlief noch fest.
Katja betrachtete Janny versonnen. Ihr Atem ging regelmäßig. Um ihren Mund lag ein Lächeln. Zumindest sah es so aus. Ein friedlicher Anblick, abgesehen von den Spuren der Tunnelgrabung. Jannys Gesicht sah aus wie das eines Kohlenträgers. Auch die Kleidung war übersät von dunklen Erdflecken. Katja lächelte. Ein ganz charmanter Anblick eigentlich.
Säße sie nicht hier im Wald, schmutzverschmiert und mit ungewisser Aussicht, wie ihr unfreiwilliges Abenteuer weiterging, Katja hätte sicher gekichert. Was für ein Gedanke!
Obwohl. Lagen, beziehungsweise saßen sie und Janny nicht friedlich nebeneinander im Gras? Wer es nicht wusste, könnte durchaus denken …
Katjas Mundwinkel zuckten. Na, das ging dann doch etwas zu weit. Diese Konstellation hatte ganz bestimmt keine Zukunft. Auch wenn ihr unüberwindbar scheinender Groll gegen Janny sich unmerklich aufgelöst und sie und Janny sich angenähert hatten. Und auch, wenn aus ihr und Grit nichts wurde.
Grit! Wie ein Blitz schoss der Gedanke durch Katjas Kopf. Sie mussten so schnell wie möglich zurück und in Erfahrung bringen, was mit Grit war. Katja stieß Janny an. »Janny, wach auf.«
Janny brauchte einen Moment, bis sie zu sich kam und erfasste, wo sie war. »Wie spät ist es?«, fragte sie benommen und setzte sich auf.
Katja schaute auf ihre Uhr. »Halb neun.« Sie hatten also nur knappe vier Stunden geschlafen. Dafür fühlte sie sich erstaunlich frisch. Besonders, wenn sie die nächtliche Tortur bedachte. »Bist du einigermaßen ausgeruht?«, fragte sie Janny. Und kam sich irgendwie komisch dabei vor. Es war das erste Mal, dass sie Janny eine Frage stellte, die so etwas wie Anteilnahme ausdrückte.
»Ja, geht schon«, erwiderte Janny. »Zeit für Schönheitsschlaf haben wir später. Wir müssen aus diesem Wald finden. Eine Straße, ein Dorf irgendwelche Menschen.«
»Und Grit«, flüsterte Katja.
»Ja, natürlich. Grit«, sagte Janny. Sie schaute Katja an, legte ihre Hand auf ihren Arm. »He, mach dir keine Sorgen.«
»Das sagst du so leicht. Was, wenn Haakon sie doch erwischt hat?«
Jannys Hand drückte Katjas Arm. »Grit ist eine trainierte Läuferin und sie ist clever. Sie kann auf sich aufpassen.« Sie zog Katja mit sich hoch. »Komm, es bringt nichts, sich Sorgen zu machen.«
»Ich weiß, aber … warum musste ich auch diese doofe Speicherkarte finden! Ich schaffe nur Probleme, ich dumme Kuh.« Katja fühlte sich plötzlich hundeelend, ausgelaugt, ohne jede Spannkraft. Ihre Beine fühlten sich an wie Pudding und wahrscheinlich wäre sie zusammengesackt, hätte Janny sie nicht aufgefangen. So befand Katja sich plötzlich in Jannys Armen, fühlte, wie zwei Hände sanft über ihren Rücken strichen. »He, mach dich nicht verrückt«, flüsterte Janny. »Außerdem, es ist kein bisschen deine Schuld. Du wusstest nicht, was es mit der Karte auf sich hat. Wie solltest du ahnen, dass die Sache eine solche Wendung nimmt. Wenn du dir unbedingt Gedanken machen willst, dann darüber, wie wir zurück in die Zivilisation gelangen.«
Katja nickte unglücklich. Aber Janny hatte recht. Zerfleischen konnte sie sich später. »Also … ich denke, am besten gehen wir zurück zur Hütte. Dort muss es einen befahrbaren Weg geben. Haakon wird uns beide wohl kaum durch den Wald getragen haben. Dem Weg können wir folgen.«
Janny lächelte verschmitzt. »Für eine dumme Kuh äußerst clever gedacht.«
»Mag sein, aber …« Katja senkte betreten den Blick. »Da gibt es ein Problem«, meinte sie und kratzte sich hinterm Ohr. »Kannst du dich erinnern, aus welcher Richtung wir gekommen sind?«
Jannys Lächeln erstarb. Ihre Stirn legte sich in nachdenkliche Falten. »Ich glaube …« Sie drehte sich einmal im Kreis. »Verdammt, ich weiß es nicht.« Ratlos schaute sie Katja an.
»Wir sind ja nicht weit weg von der Hütte. Suchen wir«, schlug Katja vor.
»Okay.«
Doch nach eineinhalb Stunden gaben sie auf.
»Es ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen«, fluchte Janny. »Wir verlieren nur kostbare Zeit. Lass uns einen anderen Weg finden.«
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