Herz auf Umwegen
»Einverstanden«, stimmte Katja zu. »Gibt es einen Weg, gibt es mehrere. Wir gehen einfach immer in dieselbe Richtung. Irgendwann kreuzen wir einen.«
»Genauso machen wir´s«, bekräftigte Janny.
Sie entschlossen sich, nach Süden zu gehen.
***
Acht Stunden! Solange waren sie nun schon unterwegs. Abgesehen von ein paar Pausen, die alle sehr kurz waren, weil Janny nach höchstens zehn Minuten immer wieder aufsprang und weiter wollte. Gebracht hatte die Eile ihnen nichts. Sie fanden keinen Pfad, geschweige denn einen Weg. Nichts, auch nicht das kleinste Anzeichen menschlicher Zivilisation. Begegnet waren ihnen lediglich ein paar Hasen, die bei ihrem Anblick erschrocken davonhuschten.
Katja schnaufte und stolperte fast über eine Baumwurzel. »Wie viele Kilometer sind wir wohl schon gelaufen?«, fragte sie und gab es auf, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie am Ende ihrer Kräfte war. Ihre Füße fühlten sich schon wie zwei gefühllose Klumpen an.
»Der normale Spaziergänger legt durchschnittlich fünf Kilometer in der Stunde zurück. Unter den gegebenen Bedingungen dürften wir aber nur zwei bis drei schaffen«, meinte Janny. »Also vielleicht zwanzig Kilometer.«
»Und nichts außer Bäume, die ganze Zeit«, stöhnte Katja. »Nicht mal ein kleiner See. Ich habe Durst, mein Magen hat schon aufgegeben, vor Hunger zu knurren. Meine Füße brennen.« Sie blieb erschöpft stehen.
Janny, die vor Katja lief, hielt an und drehte sich um. »Pause?«, fragte sie.
»Pause?« Katja plumpste auf den Boden. »Feierabend. Ich gehe heute keinen Meter mehr.«
»Aber wir könnten noch …«, hob Janny an.
» Ich nicht«, sagte Katja nachdrücklich.
Janny kam zu ihr.
Katja schniefte. »Es tut mir leid, aber ich bin echt erledigt.«
Janny hockte sich neben sie und betrachtete sie still. Katja erwartete, dass Janny versuchen würde, sie zum Weitergehen zu überreden. Doch zu ihrer Überraschung sagte Janny lediglich: »Okay, Schluss für heute.« Sie lächelte Katja an. »Allerdings wird das Abendprogramm heute sehr schlicht ausfallen. Kein Fernsehen, kein Lesen, einfach nur ab ins Bett. Und das auch nur bildlich gesprochen.« Sie sah sich um. »Vielleicht können wir es uns ja wenigstens ein bisschen bequemer machen als vergangene Nacht. Wenn wir von dem alten Laub hier was zusammenschieben.«
Janny ging von der Hocke auf die Knie und fasste prüfend auf den Boden in das trockene Laub. Sie schob so viel wie möglich davon mit den Händen an einer Stelle zusammen. Einmal, nochmals, nochmals …
Katja tat es ihr schließlich nach. »Wie schaffst du das nur?«, ächzte sie dabei.
»Was?«
»So ruhig zu bleiben, so souverän. Man könnte glauben, du hältst das alles hier für eine Art Prüfung.«
»Ist es das nicht?«
»Schon, aber bei Versagen kommt nicht der Prüfer in den Raum und sagt: Schade, vielleicht beim nächsten Mal. Wir haben nur diesen einen Versuch. Ich gebe mir wirklich alle Mühe, nicht daran zu denken, doch je mehr ich es versuche, desto mehr wird mir unsere prekäre Lage bewusst.«
»Und? Hilft dir das?«
»Natürlich nicht.«
»Eben«, sagte Janny trocken. »Deshalb bewahre ich Ruhe.«
***
Dass die Sommernächte im Norden heller sind, war Katja schon aufgefallen, doch im Haus hatte es sie nicht so sehr gestört. Wohl auch, weil die Gedanken an den nächsten Tag keine solche Ungewissheit in sich bargen.
Katja drehte sich zum x-ten Mal von einer Seite auf die andere. Diesmal wieder zu Janny hin, die allerdings mit dem Rücken zu ihr lag. Die trockenen Blätter unter Katja raschelten.
»Kannst du auch nicht schlafen?«, fragte Janny.
»Nein«, murmelte Katja überrascht. Sie hatte zwar bemerkt, dass auch Janny sich immer wieder bewegte, doch war sie davon ausgegangen, dass dies im Schlaf geschah.
Janny wechselte jetzt ebenfalls die Liegeposition. Sie versuchte es mit der Rückenlage. »Schwirren dir immer noch diese unnützen Gedanken im Kopf herum?«, erkundigte sie sich.
»Ja.«
»Versuch abzuschalten.«
»Hab ich schon, geht nicht.«
»Dann erzähl mal, vielleicht hilft das ja.«
»Lieber nicht«, sagte Katja. Sie wollte sich nicht blamieren. Janny war so stark und cool, sie dagegen kämpfte mit den übelsten Horrorvorstellungen.
»Okay«, sagte Janny. »Dann versuchen wir,
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