Herz aus Eis
gespielt.
Von Kindesbeinen an hatten sie auf Skiern gestanden. Ihr Vater Stavros war aktiver Sportler gewesen, und ihre französische Mutter war nicht nur eine Schönheit gewesen, sondern hatte ihr Land sogar bei der Winterolympiade vertreten. Sport war eine Familienleidenschaft und hatte Tradition.
Natürlich hatte es da auch immer Gefahren gegeben. Aber ihr Vater hatte ihnen beigebracht, wie man den Berg einschätzte, wie man Wetterberichte verstand, wie man Experten zu einer möglichen Lawinengefahr befragte. Die Brüder hatten ihre Abenteuerlust mit intelligenter Planung gekoppelt und das Leben mit offenen Armen umfangen. Warum auch nicht? Sie stammten aus einer wohlhabenden, einflussreichen Familie. Weder Geld noch Gelegenheiten hatten je gefehlt.
Doch auch Geld und Einfluss schützten nicht vor Tragödien.
Andreas war der Grund, warum Kristian die Pillen brauchte. Andreas war der Grund, warum Kristian nicht schlafen konnte.
Warum hatte er seinen Bruder nicht zuerst gerettet?
Kristian versuchte sich bequemer hinzulegen. In seinen Beinen tobte eine Feuersbrunst. Die Ärzte behaupteten, das seien die Nerven. Gehöre zum Heilungsprozess. Es trieb ihn dennoch in den Wahnsinn.
Er griff nach dem Pillenfläschchen auf dem Nachttisch. Es war nicht da. Diese Schwester musste die Schlaftabletten weggenommen haben. Wenn er wenigstens schlafen könnte, dann würde er den Schmerz vergessen. Dann würde er nicht ständig an jenen Tag in Le Meije denken müssen.
Sie waren zu zehnt gewesen. Eine Woche Heli-Skiing. Ein letzter Lauf am vorletzten Urlaubstag. Die Bedingungen schienen perfekt zu sein, der Bergführer hatte sein Okay gegeben, und so war der Helikopter gestartet. Keine zwei Stunden später lebten nur noch zwei Menschen aus der Gruppe.
Cosima hatte überlebt. Andreas nicht.
Kristian hatte zuerst Cosima gerettet. Diese Entscheidung verfolgte ihn.
Dabei hatte er Cosima nie gemocht. Für ihn war sie nichts als ein oberflächliches Partygirl. Gleich beim ersten Treffen hatte er diesen Eindruck von ihr gehabt, und nichts, was sie in den nächsten zwei Jahren gesagt oder getan hatte, konnte seine Meinung ändern. Andreas hatte nur ihre Eleganz und ihre Schönheit gesehen, aber … Andreas hatte etwas Besseres verdient.
Er brauchte unbedingt Erleichterung von diesen Gedanken. Mühevoll drehte Kristian sich auf den Bauch, um in der Schublade des Nachttischs nachzusehen. Vielleicht lagen die Pillen ja dort … Nein, nichts. Aber da war noch immer die Schachtel, die er unter der Matratze versteckte …
Im gleichen Moment öffnete sich die Schlafzimmertür.
„Sie sind noch wach.“
Die gute alte Hatchet. Machte wohl ihre nächtliche Runde. „Können Sie die Krankenhausroutine nicht ablegen?“ Er rollte sich auf den Rücken zurück und setzte sich umständlich auf.
Elizabeth kam näher. „Ich arbeite schon seit Jahren nicht mehr im Krankenhaus. Mein Unternehmen hat sich auf häusliche Krankenpflege spezialisiert.“
Er lauschte auf ihre Schritte, versuchte ihr Alter zu schätzen. Da er nicht sehen konnte, wie sie aussah, malte er sich ein eigenes Bild von ihr. Dieses Spiel hatte er mit allen Schwestern gespielt. Er kombinierte Schritte und Stimme, um sie sich vorzustellen.
Alter? Über dreißig, vielleicht sogar vierzig. Rot, blond, brünett? Fraglich. Sie roch frisch. Nach Zitrone … nein, eher Gras. Regenfeuchtes Gras.
Jetzt beugte sie sich über ihn, er spürte ihre Körperwärme. „Sie können nicht schlafen?“
„Ich schlafe nie.“
„Schmerzen?“
„Meine Beine brennen wie Feuer.“
„Sie müssen sie benutzen. Sobald die Durchblutung angeregt wird, schwindet auch der Schmerz.“
Für eine Frau mit einer solch sachlichen, fast brüsken Art hatte sie eine angenehme Stimme. „Sie klingen so überzeugt von sich.“
„Natürlich, es ist mein Beruf. Das ist es, was ich tue. Sagen Sie, Mr. Koumantaros, was tun Sie? Außer dass Sie auf dünnen Brettern einen unmöglich steilen Abhang hinunterrasen.“
„Sie halten nichts von Extreme Skiing?“
Extreme Skiing, das hieß von unbefahrbaren Berghängen springen, Lawinen ausweichen … der Kick der Gefahr. Absolut lächerlich, das Schicksal so herauszufordern.
Ungeduldig zog sie die Laken gerade. „Ich halte nichts davon, sein Leben beim Sport zu riskieren.“
„Sagten Sie nicht, dass Sport … Training genau das ist, was ich brauche?“
Er wollte sie ködern. Wenn er sie von ihrer Arbeit ablenkte, dann musste er auch nicht an die
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