Herz aus Eis
anzugehen. Doch die Villa lag auch um sieben Uhr noch still und dunkel da, nur in der Küche brannte Licht.
Immerhin, jemand war also wach. Elizabeth, in hellblauerHemdbluse und Rock, was ihrer Vorstellung von einer Schwesterntracht entsprach, schlug den Weg zur Küche ein, auf der Suche nach Frühstück. Was die Köchin prompt in aufgeschreckte Verwirrung stürzte. Elizabeth hatte regelrecht Mühe, die rundliche Frau zu überzeugen, dass eine Tasse Kaffee und eine Kleinigkeit zu essen ihr völlig reichen würden. So wurde ihr eine Tasse griechischen Kaffees – ungenießbar – und ein Stück tiropita , eine Art Käsekuchen, hingestellt.
Während des Frühstücks fragte Elizabeth Pano ein wenig aus. Sie erfuhr, dass Kristian normalerweise lange schlief, den Kaffee im Bett serviert bekam und sich dann in die Bibliothek zurückzog. Jeder Tag verlief nach dem gleichen Muster.
„Und was macht er den ganzen Tag in der Bibliothek?“
Pano zögerte, schließlich zuckte er nur stumm mit den Schultern.
„Also nichts?“, vermutete Elizabeth.
Pano fühlte sich ganz offensichtlich unwohl. „Es ist schwierig für ihn.“
„Er hat anfangs doch Physiotherapie bekommen. Was ist passiert?“
„Es hängt mit den Augenoperationen zusammen.“ Pano stieß einen schweren Seufzer aus. „Vorher konnte er noch etwas sehen. Nicht viel, nur Lichtunterschiede und Umrisse, aber dann ist bei den Operationen etwas schiefgelaufen. Und seither ist er völlig blind.“
Ihr war klar, was für ein Schlag der Verlust der verbliebenen Sehkraft gewesen sein musste. „Ich weiß aber auch, dass noch eine Chance besteht. Sie ist gering, aber es ist eine Chance.“
Pano zuckte nur mit den Achseln.
„Warum will er diese Chance nicht wahrnehmen?“
„Ich nehme an …“, das alte Gesicht wurde noch faltiger, „… er hat Angst. Es ist seine letzte Hoffnung. Solange er die Operation aufschiebt, hat er noch eine Hoffnung, an die er sich klammern kann. Wenn das dann auch nicht hilft“, der alte Mann schnippte mit den Fingern, „dann gibt es nichtsmehr für ihn zu hoffen.“
Ein Argument, das Elizabeth durchaus verstand.
Doch je weiter der Vormittag fortschritt und Kristian sich noch immer nicht regte, desto geringer wurde ihr Verständnis. Was für ein Leben war das, den ganzen Tag im Bett zu liegen?!
Um zwölf Uhr schaute sie vorsichtig zu seinem Zimmer hinein. Er lag ausgebreitet auf dem Bett und schlief tief und fest. Also ging sie wieder zurück zu Pano, um mehr über die Schlafgewohnheiten seines Herrn herauszufinden.
„Schläft Kyrios Koumantaros immer so lange?“
„Für ihn ist das nicht lang. Manchmal liegt er noch um zwei Uhr nachmittags im Bett.“
Es gelang ihr nicht, ihre Ungläubigkeit zu verbergen. „Und die anderen Schwestern haben das zugelassen?“
Panos kahler Kopf schimmerte in der Sonne, als er sich vorbeugte und die Post sortierte. „Sie konnten ihm nichts sagen. Er ist ein Mann, der tut, was er will.“
„Nicht, wenn seine Behandlung jede Woche Tausende von Euro verschlingt.“
Pano richtete sich auf. „Man kann einem erwachsenen Mann nicht sagen, was er tun soll.“
„Oh doch, man kann. Wenn das, was er tut, selbstzerstörerisch ist.“
Pano erwiderte nichts. Nach einem kurzen Blick auf die Uhr – es war inzwischen eins – ging Elizabeth entschlossen zu Kristians Schlafzimmer. Und dort fand sie auch die Erklärung für seinen tiefen Schlaf.
Eine Schachtel mit Schlaftabletten lag auf dem Nachttisch. Am Abend vorher war die Packung noch nicht da gewesen. Elizabeth hatte nämlich sämtliche Fläschchen, Röhrchen und Schachteln eingesammelt und bei sich im Zimmer weggeschlossen. Also hatte Kristian irgendwo seinen eigenen Vorrat angelegt und bediente sich nach eigenem Gutdünken.
Sie sagte seinen Namen, um ihn aufzuwecken. Keine Reaktion. Also trat sie näher ans Bett. „Mr. Koumantaros, Mittagist längst vorbei. Es ist Zeit, aufzustehen.“
Immer noch nichts.
Jetzt stand sie direkt vor ihm. „Mr. Koumantaros. Zeit zum Aufstehen. Sie können nicht den ganzen Tag im Bett liegen.“
Er rührte sich nicht. Tot war er nicht, so viel stand fest. Seine Brust hob und senkte sich mit regelmäßigen Atemzügen.
Sie räusperte sich und schrie beinahe: „Kristian Koumantaros. Aufstehen!“
Natürlich hatte er sie gehört. Wie hätte er sie nicht hören können, wenn sie wie ein Feldwebel brüllte? Aber er wollte nicht wach werden.
Er brauchte den Schlaf, brauchte das Vergessen. Im Schlaf war alles
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