Herz aus Eis
dieser Stadt, vielleicht sogar des ganzen Staates, und du wirst einen anderen Mann finden. Wenn du damit einverstanden bist, nehme ich dich nach Denver mit und stelle dich dort ein paar jungen Männern vor.«
Houston stand von ihrem Sessel auf, trat zu ihm und küßte ihn auf die Wange. Bis zu diesem Moment hatte sie nicht einmal gewußt, ob er sie mochte. Obwohl sie schon so lange unter demselben Dach wohnten, war stets etwas Förmliches zwischen ihnen gewesen, und das war das erste Mal, daß sie ihm einen Kuß gegeben hatte.
»Ich danke dir vielmals für dein gut gemeintes Angebot«, sagte sie, während Duncan sich verlegen wieder von ihr abwendete. Sie trat von ihm weg. »Ich glaube nicht, daß ich Mr. Taggert nur deswegen heirate, weil er sich gerade als günstige Partie anbietet.«
Duncan blickte zu ihr hin. »Bist du dir dessen sicher? Vielleicht ist das nur eine Trotzreaktion von dir, um der Stadt zu zeigen: >Schaut her, ich bekomme jederzeit einen anderen Mann, wenn ich will.< Und du kannst einen anderen Mann bekommen. Vielleicht einen, der nicht so reich ist und nicht so ein großes Haus hat wie Taggert; aber einen Mann, dessen Familie du kennst. Weißt du, ob es nicht Geisteskranke in seiner Familie gibt? Ein Onkel von Mr. Taggert soll ein notorischer Unruhestifter sein, hat man mir gesagt.«
Houstons Kopf ruckte hoch. »Onkel?«
»Rafe Taggert. Er wohnt im Bergwerkslager. Der Mann ist ein Dorn in Jacob Fentons Fleisch, und dennoch entläßt er ihn nicht, ganz gleich, was er anstellt.«
Houston drehte sich von ihrem Stiefvater weg, damit er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Der Name Taggert war nicht ungewöhnlich, und sie hatte ihre Freundin Jean niemals mit Kane in Verbindung gebracht. Vielleicht kannte Jean ihn. Und wenn die beiden sogar miteinander verwandt waren, konnte sie dafür bürgen, daß es in Kanes Familie keine Geisteskranken gab.
Sie drehte sich wieder zu Duncan um. »Ich glaube nicht, daß die Familie erblich belastet ist.«
Enttäuschung und Ernüchterung spiegelten sich in seinen Augen. »Wie kannst du dich in so kurzer Zeit so total verändern? Du warst so vernünftig in deinem Umgang mit Leander, hast dich erst mit ihm verlobt, nachdem du ihn schon lange gekannt hast. Doch diesen Mann kennst du erst ein paar Tage, hast ihm aber bereits die Zusage gegeben, den Rest deines Lebens mit ihm zu verbringen.«
Dem konnte sie nichts entgegensetzen. Er hatte vollkommen recht. Die Logik sagte ihr, daß sie diesen Fremden nicht heiraten konnte. Nur daß sie ihn verdammt gerne heiraten wollte! Sie verdeckte das Lächeln, das um ihre Lippen spiegelte, mit der Hand. Sie durfte sich doch nicht Mr. Taggerts Ausdrucksweise aneignen!
»Die Ehe ist eine ernste Angelegenheit«, fuhr Duncan fort. »Überlege dir genau, was du da tust.«
»Ich habe ihm bereits mein Jawort gegeben«, sagte sie, als wäre das eine Antwort.
»Blair ist ein Beweis dafür, was alles passieren kann, ehe der Ehering am Finger einer Frau steckt«, sagte er bitter. »Laß dir von ihrer . . . ihrer Unberechenbarkeit nicht dein Leben ruinieren. Finde heraus, was dieser Kane Taggert für ein Mensch ist. Rede mit Leuten, die ihn kennen. Rede mit Marc Fenton; er kann sich vielleicht an ihn erinnern, als er noch in den Ställen arbeitete. Ich habe versucht, mit Jacob über ihn zu sprechen; doch Jacob winkt schon ab, wenn er nur seinen Namen hört. Es ist für ein ganzes Leben, Houston; erkundige dich so gründlich wie möglich über diesen Mann, ehe du dich für immer an ihn bindest.«
Houston mußte zugeben, daß seine Bitte vernünftig war. Aber sie zögerte, darauf einzugehen. Vielleicht wollte sie gar nicht so genau wissen, was für ein Mann Kane war. Vielleicht gefiel ihr das Geheimnisvolle an ihm — der Mann, der sie im Sturm eroberte, ehe sie kritisch über ihn nachdachte. Vielleicht war sie einfach noch nicht bereit, dieses Abenteuer zu beenden.
Doch Duncan hatte die Vernunft auf seiner Seite, und Houston war gewohnt, zu gehorchen. Sie überlegte flüchtig, was er wohl tun würde, wenn sie ihm von Kanes Attacke am gestrigen Morgen erzählte, der sie sich nur mit einem Tonkrug erwehren konnte. Er würde sie vermutlich in ihrem Zimmer einsperren. Sie seufzte. »Ich werde mich bei einigen Leuten nach ihm erkundigen«, flüsterte sie. »Ich werde mich so gründlich umhören wie möglich, und wenn ich nichts wirklich Schlimmes über ihn erfahre, werde ich ihn am Zwanzigsten dieses Monats heiraten.«
Duncan seufzte schwer.
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