Herz aus Feuer
wäre mir nicht recht, wenn du mich zu einer Mine begleiten würdest. Vergiß nicht, daß du dich um deine zahlreichen Patienten in der Klinik kümmern mußt. Ich frage mich, was unsere hübsche kleine Haushälterin wohl Gutes gekocht haben mag.«
Blair lächelte ihn an. »Ich hoffe, du fragst mich jetzt nicht, ob ich den Mut besessen habe, mich bei ihr nach dem Abendessen zu erkundigen. Ich fahre mit dir in die tiefste Grube — auch wenn mir dort die Decke auf den Kopf zu fallen droht —; aber verschone mich mit Mrs. Shainess und ihren Kochkünsten.«
»Apropos einstürzende Decke: Wie kommst du mit Mrs. Krebbs zurecht?«
Blair stöhnte, und während Lee sich wieder ankleidete, erging sie sich in einem Monolog über Mrs. Krebbs: »Sie mag ja in einem Operationssaal ein Engel sein; aber sonst ist sie wohl eher eine Hexe.«
Als Lee sich zum Dinner angezogen hatte und mit ihr nach unten ging, lächelte er wieder und versuchte sie mit sanfter Stimme zu überzeugen, daß die guten Eigenschaften von Mrs. Krebbs deren schlechte überwogen.
In dieser Nacht schliefen sie, eng aneinandergekuschelt, gleichzeitig ein.
Der zweite Tag in der neueröffneten Klinik war noch schlimmer als der erste: Es kam überhaupt niemand. Und als Blair nach Hause kam, erhielt Lee wieder einen seiner geheimnisvollen Telefonanrufe, brach sofort auf und kam erst um Mitternacht wieder heim. Er kroch schmutzig und erschöpft zu ihr ins Bett, und zum erstenmal erlebte sie einen schnarchenden Ehemann. Sie rüttelte ihn ein paarmal sanft an der Schulter; doch als das keine Wirkung zeigte, drehte sie ihn mit einem kräftigen Schubs auf den Bauch, und das hatte einen beruhigenden Einfluß auf seine Atemwege.
Am dritten Tag, als sich Blair an ihren zu sauberen Schreibtisch in der Klinik setzte, hörte sie draußen die Türglocke. Und als sie in das Wartezimmer trat, traf sie dort ihre Jugendfreundin, Tia Mankin, an. Tia litt an einem hartnäckigen trockenen Husten.
Blair hörte sich ihre Beschwerden an, verschrieb einen milden Hustensirup und lächelte breit, als der nächste Patient kam, ebenfalls eine Freundin aus ihrer Kinderzeit. Und schließlich, als eine Freundin der anderen die Klinke in die Hand gab und jede ihr irgendwelche vagen Symptome schilderte, wußte sie nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Sie war froh darüber, daß diese jungen Frauen sie immer noch zum Kreis ihrer Freundinnen zählten; aber andrerseits war sie wieder frustriert, weil sie keine echten Patientinnen waren.
Am späten Nachmittag fuhr Houston in ihrem hübschen kleinen Einspänner vor und sagte zu Blair, daß sie offenbar guter Hoffnung sei, und ob Blair ihr das bestätigen könne. Houston war nicht schwanger, und nach der Untersuchung zeigte Blair ihr die Klinik. Mrs. Krebbs war bereits nach Hause gegangen, und die Zwillinge konnten sich ungestört miteinander unterhalten.
»Blair, ich habe dich schon immer bewundert. Du bist so tapfer.«
»Ich und tapfer? Das bin ich keineswegs.«
»Aber ich brauche mich doch nur hier umzusehen! Das ist nur entstanden, weil du wußtest, was du wolltest, und deinen Willen in die Tat umgesetzt hast. Du hattest dir vorgenommen, Ärztin zu werden und dich von diesem Ziel durch nichts abbringen zu lassen. Ich hatte auch einmal Träume; aber ich war zu feige, sie zu verwirklichen.«
»Was für Träume? Ich meine, wenn ich von Leander einmal absehe.«
Houston winkte ab. »Ich glaube, ich habe mich damals nur für Lee entschieden, weil er zu den Träumen gehörte, die von Mutter und Mr. Gates lebhaft unterstützt wurden. Damit habe ich mir ihr Wohlwollen erkauft.« Sie hielt inne und lächelte. »Ein anderer Teil von mir hat die Streiche genossen, die du Lee gespielt hast.«
»Du hast davon gewußt?«
»Von fast allen. Nach einer Weile fieberte ich geradezu dem nächsten Streich entgegen. Ich war es, die Lees Verdacht auf John Lechner lenkte.«
»John war schon immer ein Angeber gewesen. Ich bin sicher, er hat die Keile verdient, die er von Lee bezog. Houston, ich hatte ja keine Ahnung, daß du dich für einen Feigling gehalten hast! Ich habe mir immer gewünscht, daß ich so vollkommen sein könnte wie du.«
»Vollkommen! Nein, ich hatte nur Angst, ich könnte Mutter enttäuschen, Mr. Gates in Rage bringen und nicht halten, was sich die Stadt von einer Chandler verspricht.«
»Während ich fast bei jedem aneckte, obwohl ich mich mit keinem anlegen wollte. Du hast so viele Freunde — so viele Menschen, die dich
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