Herz aus Feuer
kannte seine Schwägerin kaum; doch er wußte, daß sie normalerweise Energie hatte für zwei; doch nun saß sie ihm mit einem langen Gesicht gegenüber und mit Augen, in denen kein Licht mehr war.
»Gestern«, begann er, »war ich im Stall — ohne Hemd, was du aber Houston nicht verraten darfst — und stieß mit dem Rücken an einen Verschlag. Dabei habe ich mir ’ne Menge Holzsplitter eingezogen, die ich mit der Hand nicht erreichen und wieder herausziehen kann.« Er betrachtete sie, wie sie den Kopf hob. »Ist ja nicht viel; aber mehr kann ich leider nicht bieten.«
Langsam breitete sich ein Lächeln über ihr Gesicht aus. »Schön — dann komm mal mit in die Chirurgie, damit ich mir deinen Rücken anschauen kann.«
Die Splitter waren nicht besonders groß oder saßen besonders tief in der Haut; aber Blair behandelte ihn mit großer Umsicht.
Als Kane bäuchlings auf der Pritsche lag, fragte er: »Wie kommt es, daß deine Türglocke heruntergefallen ist? Hatte da jemand einen Zorn auf dich?«
Das war alles, was noch nötig war, damit Blair ihm von der Frau erzählte, die von ihr Opium verlangt und ihr dann gesagt hatte, daß die ganze Stadt über sie lachte.
»Und Lee hat jahrelang davon geträumt, eine Frauenklinik in Chandler zu eröffnen, und hart gearbeitet, um sich diesen Traum erfüllen zu können. Und nun ist er ständig unterwegs zu einem Patienten, der in einem Bergwerk verunglückt ist, und ich sitze hier in der Klinik und enttäusche ihn.«
»Sieht mir eher danach aus, als würden die Kranken dich enttäuschen. Und ich schätze, da versäumen sie was.«
Sie lächelte auf seinen Hinterkopf hinunter. »Es ist nett von dir, so etwas zu sagen; aber du wärst doch bestimmt nicht gekommen, wenn nicht. . . Weshalb bist du überhaupt hierhergekommen?«
»Houston renoviert mein Büro.«
Er sagte das in einem so fatalistischen Ton, daß Blair lachen mußte.
»Das ist gar nicht komisch. Sie stellt überall die verrücktesten kleinen Sessel auf, und sie mag Spitzen. Wenn ich in mein Büro zurückkomme und feststelle, daß die Wände rosarot gestrichen sind, dann werde ich . . .«
»Was wirst du dann tun?«
Er drehte den Kopf, damit er zu ihr hinaufsehen konnte: »Weinen.«
Sie lächelte ihn an. »Wenn sie es rosarot gestrichen hat, komme ich morgen in dein Haus, und wir werden es wieder umstreichen. Wäre das ein Vorschlag?«
»Der beste, den ich heute gehört habe.«
»Alles wieder in Ordnung«, sagte sie eine Minute später und begann, ihre Instrumente zu säubern, während Kane wieder sein Hemd und seine Jacke anzog. Sie drehte sich zu ihm um. »Vielen Dank«, sagte sie. »Du hast dafür gesorgt, daß ich mich jetzt viel besser fühle. Ich weiß, daß ich in der Vergangenheit nicht gerade höflich zu dir gewesen bin, und möchte mich dafür entschuldigen.«
Kane zuckte nur mit den Achseln. »Du und Houston seid eineiige Zwillinge, also müßt ihr auch etwas gemeinsam haben, und wenn du nur halb so gut bist wie deine Schwester in ihrem Job, mußt du die beste Ärztin der Welt sein. Und ich habe so ein Gefühl, als würde sich von jetzt ab die Lage für dich ändern. Schon bald werden dir die Ladies mit allen möglichen Beschwerden die Haustür einrennen. Warte nur ab. Bleib hier und mach deine Werkzeuge sauber, und ich wette, morgen wirst du sie alle gebrauchen können.«
Da waren plötzlich alle Tränen vergessen, und sie grinste ihn an. »Vielen Dank. Du hast mir mächtig gutgetan.« Einem Impuls folgend, stellte sie sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn auf die Wange.
Er lächelte sie an. »Du wirst es nicht glauben; aber eben hast du genauso ausgesehen wie Houston.«
Blair lachte. »Ich denke, das war wohl das größte Kompliment, das man mir bisher in meinem Leben gemacht hat. Aber nun werde ich wohl einiges vorbereiten müssen, wenn du mir so viel Arbeit prophezeist. Und falls du noch Beschwerden in der Schulter haben solltest, gib mir Bescheid.«
»Ich werde mit jedem gebrochenen Knochen zu Ihnen kommen, Dr. Westfield, und mit allen rosarot gestrichenen Wänden«, sagte er und verließ die Klinik.
Blair begann leise zu pfeifen, während sie ihren Schreibtisch aufräumte, wobei ihr einfiel, daß sie vergessen hatte zu fragen, ob die Summe ihrer Haushaltsausgaben nun um sieben Cents zu hoch oder zu niedrig war, und sie alles noch einmal selbst nachrechnen mußte. Doch den Rest des Tages über fühlte sie sich so wohl wie schon lange nicht mehr.
Dann, während sie ihre
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