Herz aus Feuer
Stimme. »Sie haben das Recht, alles zu tun, was ihnen beliebt. Und deswegen muß jemand die Bergarbeiter über ihre Rechte aufklären.«
»Aber nicht du!« brüllte Lee ihr ins Gesicht.
Sie beugte sich gegen den Felsen, als würde ein Sturm ihr in die Augen blasen. »Ich habe Zutritt zu den Bergwerken. Ich habe eine Kutsche. Es ist nur logisch, daß ich diesen Auftrag übernehme.«
Lees Gesicht lief so dunkelrot an, daß sie fürchtete, es könne jeden Moment explodieren. Er hob die Hände an ihren Hals, ermannte sich aber rechtzeitig und trat von ihr weg. Als er ihr den Rücken zudrehte, sah sie an den Bewegungen seines Oberkörpers, wie heftig er atmete. Dann, als er ihr das Gesicht wieder zuwandte, schien er seine Beherrschung einigermaßen wiedergewonnen zu haben.
»Ich möchte, daß du mir jetzt sehr genau zuhörst. Ich weiß, daß das, was du getan hast, einer gerechten Sache dient, und ich weiß auch, daß die Bergarbeiter über ihre Rechte Bescheid wissen müssen. Ich erkenne sogar an, daß du bereit bist, dein Leben zu riskieren, um anderen zu helfen. Aber ich kann nicht zulassen, daß du so etwas noch einmal tust. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?«
»Und wenn ich es nicht tue — wer dann?«
»Was, zum Henker, kümmert das mich?« schrie er und holte dann wieder ein paarmal tief Luft. »Blair, du bist diejenige, die mir nahesteht. Du bist für mich wichtiger als alle Bergarbeiter der Welt. Ich möchte, daß du mir schwörst, so etwas Ähnliches nie wieder zu tun.«
Blair blickte auf ihre Hände hinunter. Sie hatte heute morgen mehr Angst gehabt als je zuvor in ihrem Leben. Doch zugleich hatte sie das Gefühl, daß sie heute die wichtigste Tat ihres Lebens begangen hatte. »Gestern nachmittag starb ein kleiner Junge in meinen Armen«, flüsterte sie. »Sein Brustkasten war von Kohlen eingedrückt . . .«
Lee packte sie bei den Schultern. »Du mußt mir so etwas nicht erzählen. Weißt du, wie viele Kinder in meinen Armen gestorben sind? Wie viele Arme und Beine ich bei Männern amputiert habe, die unter Steinen und Balken eingeklemmt waren? Du bist noch nie unter Tage in einem Bergwerk gewesen. Wenn du in so einen Stollen einfährst. . . Es ist dort schlimmer, als du dir das vorstellst.«
»Dann muß etwas dagegen unternommen werden«, sagte sie hartnäckig.
Er nahm die Hände von ihren Schultern, wollte etwas sagen, schloß den Mund wieder, versuchte es erneut: »Schön, dann probiere ich es eben mit einer anderen Taktik. Du bist für so etwas nicht geschaffen. Vor ein paar Minuten noch warst du vollkommen am Boden zerstört. Dir fehlen die persönlichen Voraussetzungen, die man für so ein Unternehmen mitbringen muß. Du bist sehr mutig, wenn es darauf ankommt, ein Menschenleben zu retten; aber sobald du in eine Sache verwickelt wirst, die sich zu einem Krieg auswachsen und Menschen das Leben kosten kann, brichst du zusammen.«
»Aber es muß doch getan werden«, sagte sie mit flehender Stimme.
»Ja, das mag stimmen; aber es muß von jemand anderem getan werden — nicht von dir. Man kann dir sofort vom Gesicht ablesen, was du empfindest.«
»Aber wie sollen dann die Bergarbeiter aufgeklärt werden? Wer außer uns beiden hat denn Zutritt zu den Kohlengruben ?«
»Nicht uns«, explodierte Lee abermals. »Ich! Ich habe Zutritt zu den Bergwerken — nicht du! Es ist mir unerfindlich, wieso die Wachen dich überhaupt passieren ließen! Ich möchte dich nicht hier oben bei den Bergwerken sehen. Ich möchte nicht, daß du in ein Bergwerk einfährst. Im vergangenen Jahr saß ich sechs Stunden unter Tage in einem Stollen fest, weil ein Grubenstempel nachgegeben hatte. Ich kann nicht zulassen, daß du in eine ähnliche Situation gerätst.«
»Nicht zulassen?« wiederholte sie und merkte, wie die Angst von ihr abfiel. »Was willst du denn noch alles nicht zulassen?«
Er blickte sie mit hochgezogenen Brauen an. »Du magst es drehen und wenden, wie du willst — am Ende kommt immer dasselbe heraus: Du wirst nicht ein zweites Mal ein Bergwerkslager betreten.«
»Vermutlich findest du es ganz in Ordnung, wenn du dich mitten in der Nacht davonschleichst, ohne mir zu sagen, wohin, während ich brav zu Hause zu bleiben habe.«
»Das ist absurd. Ich habe dir bisher noch nie etwas verwehrt oder verboten. Du wolltest eine Frauenklinik haben. Ich habe sie dir gegeben. Und nun kannst du auch dort bleiben.«
»Und du dich inzwischen in die Bergwerke einfahren lassen, wolltest du sagen? Glaubst du,
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