Herz aus Feuer
haben, vermutete Blair.
»Karbol?« fragte Blair, und als sie sah, daß Lee eine Magenpumpe aus seiner Tasche nahm, wußte sie, was jetzt getan werden mußte.
Blair verlor keine Zeit mehr und ging an die Arbeit. Mit autoritärer Stimme befahl sie drei Frauen, von denen eine nur ein Korsett und ein dünnes schwarzes Tuch darüber trug, die Arme und Beine des Mädchens festzuhalten, und schickte eine vierte nach Handtüchern aus. Als eine große, gut gekleidete Frau, die aussah, als wüßte sie, wie man Befehle gibt, ins Zimmer trat, trug Blair ihr auf, zwei Regenmäntel zu besorgen. Und als sie damit wiederkam, wartete Blair, bis Lee eine Hand frei hatte, und schob sie in das Ärmelloch des wasserdichten Überziehers. Dann schlüpfte sie in den anderen Regenmantel und knöpfte ihn über dem Seidenkleid ihrer Schwester zu.
Lee redete ununterbrochen mit dem Mädchen, um es abzulenken und zu beruhigen, während er ihm den Schlauch der Magenpumpe durch den Mund einführte; und als das Karbol durch den Schlauch nach oben stieg, kam auch der ganze Mageninhalt in einem Schwall heraus und bespritzte alle, die um das Bett herumstanden.
Würgend und sich erbrechend, in seinem eigenen Schmutz schwimmend, klammerte sich das Mädchen an Lee, der es an seiner Schulter hielt, während Blair mit leiser Stimme Anweisungen gab, frisches Bettzeug und warmes Wasser zum Reinigen der Patientin zu besorgen.
»Nichts ist so schlimm, wie es einem erscheint«, sagte Lee und nahm das Mädchen in die Arme, als es zu weinen begann. »Und wenn du das trinkst, geht es dir gleich wieder besser.« Er flößte ihm ein Glas Wasser und zwei Tabletten ein.
Er hielt es, bis sein Schluchzen aufhörte und es an seiner Schulter einnickte. Dann legte er es vorsichtig auf das Bett und blickte zu der hochgewachsenen Frau auf, die Blair nach den Regenmänteln ausgeschickt hatte. »Jetzt können Sie sie waschen. Und morgen schicken Sie sie zu mir in die Klinik. Ich möchte mit ihr reden.«
Die Frau nickte schweigend, blickte Lee mit großen, verehrungsvollen Augen an und drehte sich dann zu Blair um. »Ich hoffe, du weißt, was du an diesem Mann hast, Kleines. Gibt nicht viele von seiner Sorte. Er . . .« Die Frau stockte, als Lee ihr einen Blick zuwarf.
»Wir müssen weiter«, sagte er, stutzte dann, als er auf den Regenmantel hinuntersah, den er verkehrt herum trug, und blickte Blair an, die am Fußende des Bettes stand.
»Ich habe das von meiner Schwester gelernt«, sagte sie rasch, um seine stumme Frage zu beantworten, und machte sich plötzlich Sorgen, daß Lee ihren Rollentausch entdeckt haben könnte.
Doch Leander packte seine Instrumente ein, nahm ihren Arm und verließ mit ihr das Zimmer, ohne ein Wort über ihr mustergültiges Verhalten zu verlieren. Die Mädchen, die vom Flur aus zugesehen hatten, murmelten ein Dankeschön und blickten Lee und Blair mit stumpfen Augen nach. Jede von diesen jungen Frauen, dachte Blair, hätte das Mädchen sein können, das jetzt im Zimmer gewaschen wurde.
»Kommst du oft hierher?« fragte sie Lee, als sie die Treppe hinuntergingen.
»Jede Woche wird ein Arzt aus diesen oder jenen Gründen in dieses Haus gerufen. Vermutlich bin ich genauso oft hier wie meine Kollegen.«
Als sie bei der Kutsche anlangten, blieb Lee vor ihr stehen. Nun wird er mir offenbaren, daß er wisse, wer ich bin, dachte sie bang. »Ich möchte mich bei dir bedanken, daß du mir bei diesem Fall geholfen hast und ich dich nicht erst woanders hinbringen mußte. Das hat mir mehr bedeutet, als du ahnst.«
Sie lächelte erleichtert. »Du hast diese Frau hervorragend behandelt — rasch und so schonend wie möglich.«
Mit einem leisen Lächeln berührte er das Haar an ihrer Schläfe. »Nun sprichst du wieder wie Blair. Aber wenn du meinst, es sei so gewesen, bedanke ich mich für das Kompliment.«
Blair hatte an der medizinischen Hochschule einen Dozenten, der seine Studentinnen davor warnte, dem Fluch aller jungen weiblichen Ärzte zu verfallen. Sie neigten nämlich dazu, sich stets in den Mann zu verlieben, der am besten mit dem Messer umgehen konnte. Alle frischgebackenen Assistenzärztinnen brauchten nur einem Arzt zuzusehen, wie er eine schwer zugängliche Eierstockzyste entfernte, und schon hatte er ihr Herz erobert.
In diesem Moment dachte Blair, daß sie noch keinen Mann getroffen hatte, der besser aussah als Lee. Er hatte den Fall nicht nur medizinisch richtig behandelt, sondern auch die Patientin auf geradezu vorbildliche Weise
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