Herz aus Glas (German Edition)
Charlie auf dem Bild und versuchte, Triumph zu empfinden, aber da war nur ein leichtes Unbehagen. Aus diesem Grund wandte ich mich lieber wieder David zu.
»Sie hat dann einfach irgendwann behauptet, wir hätten uns verlobt«, sagte er. »Und sie hat mich unter Druck gesetzt.«
»Wie das?«, fragte ich.
»Sie hat geweint. Sie konnte sehr ausdrucksvoll weinen! Ich habe es nicht übers Herz gebracht, die Verlobungsfeier abzublasen, aber die ganze Zeit über wusste ich schon da, dass es ein Fehler war. Am Ende haben mich die Ereignisse überrollt. Es war wie ein Zug, der auf mich zuraste und den ich nicht mehr stoppen konnte …«
Er verstummte. Es wurde sehr still im Raum. Nur das Rauschen des allgegenwärtigen Windes draußen und das leise Knacken der Holzscheite im Kamin waren zu hören. Das Gemälde von Amanda Bell, Davids Mutter, war bei diesem Licht nur ein viereckiger Umriss an der Wand über der Feuerstelle.
»Du hast sie gar nicht geliebt!« Ich hatte noch immer Mühe es zu begreifen.
»Ich habe mich mit ihr auf der Klippe getroffen, weil ich Schluss machen wollte. Sie hat geweint, aber ich habe es nicht ernst genommen, Juli! Ich habe nicht begriffen, dass ihr Weinen dieses eine Mal echt war.« Er entzog mir seine Hand und legte sie wieder über die Augen. Ich nahm sie zum zweiten Mal. Diesmal sperrte er sich, aber ich gab nicht nach. Endlich ließ er es zu, dass ich ihn festhielt. »Ich hätte niemals erwartet, dass sie sich das Leben nehmen würde. Sie hat mir diesen Brief gegeben, aber ich bin einfach weggegangen. Kurz darauf ist sie gesprungen …« Er zitterte jetzt. Ich umfing seine Finger mit beiden Händen. »Ich bin schuld an ihrem Tod, Juli!«
Ich schwieg. Nicht, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte, sondern, weil er keine Worte brauchte. Was er brauchte, waren Trost und Vergebung. Sanft streichelte ich seine Hand, so wie er meinen Rücken gestreichelt hatte, als ich in seinen Armen geweint hatte. Er weinte nicht, aber er starrte gequält auf das Bild von Charlie und in seiner Miene arbeitete es schmerzhaft. Mein Schwindelgefühl kehrte zurück, aber nur ganz leicht. Und weil ich saß, war es gut auszuhalten. Ich zwang mich, Charlies Blick standzuhalten, und je länger ich das tat, umso überheblicher und arroganter kam sie mir vor. Das Unbehagen, das ich bei ihrem Anblick schon eben verspürt hatte, kroch erneut in mein Bewusstsein. Es war dem nicht unähnlich, das ich gehabt hatte, als ich vor Henrys Bildern gestanden hatte. Ich wischte es fort.
Mein Blick fiel auf das Buch in Davids Schoß. Mit einer Hand ließ ich ihn los und nahm es.
»Wirf es ins Feuer!«, bat er mich.
Überrascht sah ich ihn an. »Sicher?«
Er nickte. »Es ist an der Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen. Wirf es ins Feuer! Und den Brief gleich mit!«
Zögernd nahm ich nun auch den Brief wieder an mich, den ich neben mir auf die Couch gelegt hatte. Dann stand ich auf und trat vor den Kamin.
Ich drehte mich um, sah David noch einmal in die Augen, um zu ergründen, ob er sich wirklich sicher war. Er nickte schwach.
Und da tat ich es. Ich warf das Buch und den Brief samt Umschlag in die Flammen. Dann kehrte ich zu David zurück. Er hob den Arm ein wenig, sodass ich darunterkriechen und mich an ihn kuscheln konnte. Ein tiefer, wohliger Schauder durchlief mich, während wir gemeinsam zusahen, wie sich Charlies Zeilen und Rebecca in den Flammen zu kräuseln begannen und zu einem Haufen Asche verbrannten.
I ch habe keinerlei Erinnerung mehr daran, wie lange wir in dem Lilienzimmer saßen und in die Flammen starrten. Mehrfach hörte ich die altmodische Standuhr unten in der Halle schlagen, das heißt, es müssen einige Stunden gewesen sein. Der Mond war weitergewandert und durch die Fenster irgendwann nicht mehr zu sehen gewesen. Der Schein des Feuers war unsere einzige Lichtquelle, aber wir brauchten auch nicht mehr.
Ab und zu betrachtete ich Davids Gesicht, um zu bewundern, wie die Flammen seine helle Haut zum Schimmern brachten. Und jedes Mal, wenn ich dafür den Kopf hob, bemerkte ich, dass er auch mich ansah.
Als mir das zum wiederholten Male auffiel, musste ich lachen.
»Was ist so komisch?«, fragte er.
Ich lehnte den Kopf wieder an. »Nichts. Ich frage mich nur gerade, wann genau du dich in mich verliebt hast.« Und vor allem, warum, fügte ich im Stillen hinzu, aber diese Frage schien mir zu sehr fishing for compliments, darum schluckte ich sie hinunter.
Ich hatte das Bedürfnis, mit Charlie auf dem
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