Herz aus Glas (German Edition)
können, aber jetzt …«
Diesen Irrsinn …
Ich glaubte zu spüren, wie mich der Nebel wieder einhüllen wollte, aber ich kämpfte dagegen an. Ganz aufrecht setzte ich mich hin und griff nach Davids Händen. »Was ist das für ein Irrsinn, David?«
Er schüttelte bedauernd den Kopf. Er wusste es auch nicht.
»Glaubst du etwa an diesen bescheuerten Fluch?«, flüsterte ich.
Er sah gequält aus. »Ich glaube daran, dass irgendwas mit dir nicht stimmt, Juli! Ebenso wie mit mir. Und es ist eine Tatsache, dass alle Frauen, die ich geliebt habe, tot sind!«
Täuschte ich mich oder fing die Welt wieder an, unter mir zu schwanken? Vorhin noch hatte David mir gesagt, dass er sich vom ersten Augenblick an in mich verliebt hatte. Und jetzt wollte er mich schon wieder loswerden?
»Charlie hast du nicht geliebt«, sagte ich mit tauben Lippen.
»Aber meine Mutter. Verdammt, Juli! All die Frauen aus meiner Familie, die junge, schwangere Frau vor zwanzig Jahren, es sind so viele!« Er senkte den Kopf, sodass ihm die Haare vor die Augen fielen. »Du sollst nicht die nächste sein!«
»Was willst du dagegen tun?« Mir schossen Tränen in die Augen.
»Dich von der Insel wegbringen.« Er stand auf, zog mich auf die Füße. Für einen kurzen, kostbaren Augenblick waren wir uns ganz nah und ich spürte seinen Atem auf meinen Augenlidern.
»Bitte nicht!«, flüsterte ich.
Er nahm mich an der Hand und zog mich zur Tür. Sein Gesicht sah grau aus, so grau, als sei ihm Madeleines Geist persönlich gegenübergetreten.
Er öffnete die Tür, dann schob er mich hinaus auf den Gang.
Ich drehte mich um, sah ihm in die Augen.
»Es tut mir leid, Juli«, flüsterte er. »Aber du musst gehen.« Dann schloss er die Tür vor meiner Nase.
Fassungslos blieb ich einen Moment lang stehen, dann wandte ich mich ab. Als ich einen Fuß auf die oberste Stufe der Freitreppe setzen wollte, um nach unten zu gehen, trat ich ins Leere. Ich musste mich am Geländer festklammern, um nicht die gesamte Treppe hinunterzufallen. Zwei Stufen taumelte ich nach unten, dann fing ich mich wieder. Der Aufprall fuhr als schmerzhafter Schlag durch meinen gesamten Rücken.
Den Rest der Treppe überwand ich halbwegs unfallfrei, und als ich am Fuße der Treppe anlangte, hörte ich, wie oben Davids Fäuste gegen die Tür krachten.
Die Tür meines Appartements fiel hinter mir ins Schloss. Ich lehnte mich dagegen und schloss die Augen, doch dadurch wurde das neblige Gefühl in meinem Kopf nur noch schlimmer und so riss ich sie wieder auf. Ich atmete ein paar Mal tief durch, und als das auch nichts half, zählte ich langsam bis zwanzig. Danach ging es ein bisschen besser.
Ich wankte quer durch den Raum zum Bett. Taylor hatte mir auch an diesem Abend eine Milch hingestellt. Ich blieb einen Moment lang stehen und starrte die weiße Flüssigkeit an. Wenn jemand vorhatte, mich zu vergiften, wäre dieses allabendliche Glas eine gute Möglichkeit … Zögernd streckte ich die Hand danach aus, hob es hoch. Ich roch an der Milch, aber ich konnte nicht feststellen, ob sie mit irgendwas versetzt war, also stellte ich das Glas wieder hin. Ohne die Schuhe von den Füßen zu streifen, ließ ich mich auf die Bettdecke fallen.
Im nächsten Moment fuhr ich wie von der Tarantel gestochen wieder in die Höhe.
Jetzt war ich vollends verrückt geworden, daran gab es nicht den geringsten Zweifel! Das Buch, das David und ich noch vor ein paar Stunden verbrannt hatten: Es lag völlig unversehrt auf meinem Nachtschrank!
Völlig von der Rolle ließ ich mich in die Kissen sinken und fixierte mit klopfendem Herzen die Zimmerdecke. Flirrende Punkte tanzten vor meinen Augen. Der Nebel in meinem Kopf breitete sich aus und begann, von innen gegen meinen Schädel zu drücken. Ein dumpfer Schmerz war die Folge. Was war noch real, was Fantasie? Ich wusste es einfach nicht mehr. Je mehr ich mir den Kopf zermarterte, umso dicker wurde der Nebel. Ich blinzelte …
… und als ich die Augen wieder öffnete, war es stockfinster. Die Kerze war heruntergebrannt und ausgegangen.
Ich schreckte auf, weil ich schon wieder Zeit verloren hatte, aber ich fühlte mich zu matt, um länger darüber nachzudenken. Stattdessen tastete ich nach dem Lichtschalter, um zu prüfen, ob der Strom immer noch weg war. Er war es. Aber die Vorhänge waren noch offen und nur ein paar dünne Wolken zogen vor dem sichelförmigen Mond dahin, den man von meinem Zimmer aus sehen konnte. Langsam gewöhnten meine Augen sich an den
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