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Herz aus Glas (German Edition)

Herz aus Glas (German Edition)

Titel: Herz aus Glas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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hauptsächlich daran, dass Davids Vater uns extrem finster musterte.
    »Wo willst du hin?«, fragte er. Er sah aus, als müsse er sich beherrschen, um nicht zu schreien.
    David begegnete ihm mit gleichgültiger Miene. »Juli möchte den Leuchtturm besuchen.«
    Mr Bell legte das Gewehr in den anderen Arm. »Den Leuchtturm, David?« Er betonte das Wort auf eigenartige Weise. Sein Mund war verkniffen.
    David erwiderte sein zorniges Starren und schwieg.
    Mr Bell – Jason, dachte ich, er hatte mich ja gebeten, ihn Jason zu nennen – blinzelte als Erster. »Zieh sie da nicht mit rein, Sohn!«, drohte er.
    David ballte die Fäuste. »Wenn ich mich richtig erinnere«, sagte er kalt, »dann wollte ich nicht, dass sie herkommt. Du hast sie trotzdem eingeladen, also gib mir nicht die Schuld, wenn sie irgendwo reingezogen wird!«
    Ich starrte von einem zum anderen. Wovon zum Teufel sprachen sie? Ich spürte schon wieder Ärger in mir aufsteigen, diesmal, weil sie mich behandelten, als sei ich ein Möbelstück, das man von A nach B karrte, ohne es um seine Meinung fragen zu müssen. Zornig starrte ich David an. Ich wusste, dass er mich nicht hier haben wollte, und trotzdem taten seine kalten Worte mir weh. David erwiderte meinen Blick für ein paar kurze Sekunden, dann wich er mir aus.
    »Seid unbesorgt!«, zischte ich giftig. »Ich lasse mich nicht in Sachen hineinziehen.« Abgesehen von hirnrissigen Besuchen auf einer winterlichen Insel, um einem selbstmordgefährdeten Arschloch den Hals zu retten, dachte ich bitter. Um den Schmerz zu unterdrücken, den Davids Worte mir bereitet hatten, wandte ich mich an seinen Vater. »Mr Bell …«
    »Jason«, verbesserte er automatisch.
    »Jason!«, wiederholte ich. »Ich bin sicher, dass David nicht vorhat, heute irgendeine Dummheit zu machen.«
    Jason sah nicht überzeugt aus.
    »Sie haben mich gebeten, hierherzukommen und ein bisschen Zeit mit ihm zu verbringen«, fügte ich hinzu. »Jetzt sollten Sie mir auch vertrauen.«
    Ich schaute David an. Er nickte seinem Vater zu. Und der machte uns zögernd Platz. Ich stiefelte an ihm vorbei, ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen. David folgte mir. Vor uns führte der Pfad um eine kleine Gruppe von Wacholderbäumen, die im kalten Wind rauschten. Als wir sie umrundet hatten, war Jason hinter uns nicht mehr zu sehen.
    Ein sehr leises Lachen aus Davids Kehle ließ mich erstaunt stehen bleiben. Fragend schaute ich ihn an.
    »Du bist ganz schön selbstbewusst«, sagte er mit einem Anflug von Anerkennung in der Stimme. In diesem Moment konnte ich ahnen, wie gut er aussehen musste, wenn er glücklich war. »Normalerweise bieten die Leute meinem Vater nicht so die Stirn wie du.«
    Ich strich mir eine Haarsträhne aus den Augen, die der Wind mit großer Hartnäckigkeit sofort an die alte Stelle zurückpustete. Plötzlich musste auch ich lachen. »Ich war einfach wütend.«
    Übergangslos wurde Davids Gesicht wieder ernst. Es sah aus, als hätte jemand ein Licht hinter seinen Augen ausgeknipst. »Das war nicht zu übersehen.« Ich wartete darauf, dass er noch etwas sagte, aber er verfiel jetzt in sein altbekanntes, nervtötendes Schweigen.
    »Du hast gesagt, du wolltest mich nicht hier haben«, wagte ich einen zaghaften Vorstoß.
    Er nickte nur, machte aber keine Anstalten, sich zu erklären.
    Ich lauschte dem Schmerz in meiner Brust nach und konnte ihn nicht so recht einordnen. Warum nur tat es so weh, seine Ablehnung zu spüren? »Der Pfad – führt er wirklich zum Leuchtturm?«, fragte ich, weil ich das Gefühl hatte, dem anderen Thema nicht gewachsen zu sein.
    »Ja«, sagte David. Mehr nicht.
    Ich unterdrückte ein Zähneknirschen. »Wenn du weiter so schweigsam bist, fange ich zum Ausgleich dafür an zu schreien!«, drohte ich.
    Täuschte ich mich oder zuckten seine Mundwinkel bei diesen Worten ganz leicht nach oben? Wahrscheinlich täuschte ich mich!
    Ohne mich anzusehen und mit ebenso ausdrucksloser und kühler Stimme wie zuvor, sagte David: »Der Pfad führt nicht nur zum Leuchtturm.«
    »Sondern?« Meine Fingerspitzen begannen zu kribbeln.
    »Zu den Klippen. Zu der Stelle, an der Charlie … verunglückt ist.«
    Mir war das kurze Zögern in Davids Worten nicht entgangen, aber ich achtete nicht weiter darauf, denn da war das erste Mal etwas gewesen. Ein Hinweis darauf, wie Charlie gestorben war. Die Klippen …
    Ich starrte ihn an. »Ich dachte, sie ist bei einem Autounfall …«
    Sehr tief atmete David durch. Dann schüttelte er den Kopf.

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