Herz aus Glas (German Edition)
Augen konnte man ein paar winzigen Fältchen erkennen. Sie nahm sich ebenfalls etwas Obst und Joghurt. Dann setzte sie sich zu uns. »Und?«, fragte sie. »Gut geschlafen, die erste Nacht in einem fremden Bett?«
Ich bejahte, obwohl das ja genau genommen eine Lüge war. »Was macht eine persönliche Assistentin?« Die Frage war mir entschlüpft, und erst als Henry schon wieder anfing zu lachen, bemerkte ich, dass sie vielleicht etwas zu direkt war. Schlagartig schoss mir das Blut in die Wangen. »Ich … äh, ich wollte nicht …« Aber es war natürlich längst zu spät. Mit beiden Füßen mitten hinein ins Fettnäpfchen! Super! Mit hochroter Birne senkte ich den Blick auf meine Hände. »Tja«, sagte ich, um Fassung bemüht. »So viel zum Thema Taktgefühl und Höflichkeit.«
Taylor lachte. »Kein Grund rot zu werden! Meine Aufgaben hier im Haus sind nicht von der, hm … Art, wie dieser Dummkopf hier dir weismachen will!« Sie schlug nach Henry. Er zog seinen Arm weg und grinste nur. »Ich bin Jasons Physiotherapeutin«, fügte Taylor hinzu. »Er leidet neuerdings unter Ischiasproblemen und darum hat er mich eingestellt. Aber im Moment …« Sie warf einen Blick in Davids Richtung. »… kümmere ich mich eher um ihn. – Hast du deine Tabletten heute schon genommen, David?«
Ich dachte daran, wie Mr Bell gestern Nachmittag genau die gleiche Frage gestellt hatte, und fühlte ich mich genauso unwohl wie am Vortag. David war neunzehn. Trotzdem behandelten ihn alle wie ein kleines Kind. Plötzlich tat er mir leid.
Er zog es vor, nicht zu antworten.
»David?« Taylors Stimme war gleichzeitig sanft und energisch. Ich hatte keine Ahnung, wie sie das machte, aber es faszinierte mich.
David seufzte. »Ja«, sagte er, ohne den Blick zu heben. Ich fragte mich, ob er log. Im Gegensatz zu mir, der man jeden Gedanken sofort von der Nasenspitze ablesen konnte, hätte er problemlos Poker spielen können. Seine Miene war vollkommen undurchdringlich. Er hatte sich an diesem Morgen noch nicht rasiert, doch anders als Henrys Dreitagebart wirkte sein Bartschatten nicht gestylt.
»Gut.« Taylor lächelte breit. Sie hatte definitiv zu viele Zähne im Mund!
Ihre Frage hatte mich an etwas erinnert. Ich tastete in meiner Hosentasche nach einer kleinen Plastikdose, die ich immer bei mir trug. Sie enthielt kleine zweifarbige Kapseln, von denen ich jetzt eine nahm und sie mit Kaffee herunterspülte.
Taylor sah mich fragend an.
»Nur Magnesium«, erklärte ich ihr und hielt die Dose hoch. »Ich habe vom Joggen ab und zu Wadenkrämpfe gekriegt und die hat unser Hausarzt mir empfohlen.«
Taylor nickte verstehend. »Was habt ihr heute vor?«, fragte sie dann.
Ich antwortete nicht sofort. Ich war hier, um Zeit mit David zu verbringen, aber bisher hatte ich nicht die geringste Ahnung, wie unsere gemeinsamen Unternehmungen aussehen sollten.
»Ihr könntet nach Oak Bluffs fahren und euch ein wenig umsehen«, schlug Taylor vor. »Die Gingerbread Houses sind auch bei diesem Wetter nett anzuschauen. Und es gibt ein paar sehr hübsche kleine Läden dort, die auch zwischen den Feiertagen aufhaben.«
Statt mich zu fragen, ob ich Lust dazu hatte, schaute David mich nur an. Sein Blick war ausdruckslos und ich versuchte, mir vorzustellen, wie viel Kraft es ihn kosten musste, dieses Gespräch durchzustehen.
Ich zuckte die Achseln. »Ich würde einfach gern ein bisschen was von der Insel sehen.«
Er nickte. »Gut.« Dann trank er seinen Kaffee aus, stellte den Becher auf den Tisch und erhob sich.
»Willst du gar nichts essen?«, fragte Taylor, während David sich bereits der Tür zuwandte.
Er schüttelte den Kopf. Die Haare fielen ihm vor das Gesicht und verbargen seinen Gesichtsausdruck.
»Schau mich bitte an, wenn du mit mir redest«, sagte Taylor und ich sah, wie sich Davids Kiefer verkrampfte. Langsam hob er den Blick. In seinen Augen flackerte es. Ich konnte nicht erkennen, ob es Wut oder etwas anderes war. Mit einer müden Handbewegung strich er sich die Haare aus dem Gesicht.
»Dir wird schlecht werden, wenn du die Tabletten immer auf leeren Magen nimmst«, sagte Taylor.
Er hielt ihrem Blick stand. »Mir ist seit sechs Wochen andauernd schlecht«, gab er zurück. Dann wandte er sich an mich. »Können wir?«
Ich ging, um mir feste Schuhe anzuziehen und meinem Vater Bescheid zu sagen, dass ich mit David unterwegs war. Wie ich vermutet hatte, saß Dad an seinem Computer und war völlig in seinen Roman versunken. Immerhin ein kurzes,
Weitere Kostenlose Bücher