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Herz aus Glas (German Edition)

Herz aus Glas (German Edition)

Titel: Herz aus Glas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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»Jeder, der sie kannte, hat sie geliebt. Sie war einfach …« Er blieb stehen und suchte nach dem richtigen Wort. »… umwerfend!« Er griff in seinen Mantel, zog seine Brieftasche aus der hinteren Jeanstasche, holte ein Foto hervor und gab es mir. Es zeigte ihn selbst in der Mitte von zwei Menschen. Der rechte war David, aber das erkannte ich erst beim zweiten Hinsehen. Auf dem Bild war er nicht so dünn wie im Moment. Und vor allem: Er lachte! Wie ich schon vermutet hatte, sah er umwerfend gut aus, wenn er lachte. Mit ausgestrecktem Arm hielt er eine Bierflasche in die Kamera. Einen Augenblick lang konnte ich den Blick nicht von seinem fröhlichen Gesicht wenden. Seine Haare hingen ihm in die Stirn, wie ich es schon von ihm kannte, und seine Jeans saß ihm ähnlich tief auf den Hüftknochen wie heute. Aber da war etwas in seinen dunklen Augen, ein vergnügtes, spöttisches Funkeln, das mir Herzklopfen verursachte. Ich ertappte mich dabei, dass ich mir wünschte, ich hätte ihn so kennengelernt.
    Dann jedoch fiel mein Blick auf die dritte Person auf dem Foto. Und mir blieb im wahrsten Sinne des Wortes die Luft weg. Charlie war einfach unglaublich schön gewesen! Sie hatte sahneweiße Haut gehabt und lange pechschwarze Haare, dazu Augen, deren Wimpern unverschämt lang waren. Auf dem Bild trug sie Jeans, wie die beiden Jungs. Ihr knappes Top war bauchfrei und enthüllte mehr von ihrer üppigen Figur, als es verdeckte. Auch sie lachte aus vollem Halse und ich glaubte, die Energie förmlich spüren zu können, die sie zu Lebzeiten ausgestrahlt haben musste.
    »Sie war sehr schön«, murmelte ich.
    Henry lachte leise. Es klang traurig. »Oh ja, das war sie!«
    Ich musste an David denken, daran, was sein Anblick mit meinem Herzen gemacht hatte. Jason Bell hatte die Hoffnung, dass ich ihn aus seiner Trauer holen konnte. Finster starrte ich das Foto an. Um zu ahnen, wie bescheuert diese Idee war, brauchte ich mir nur Charlies makelloses Gesicht anzusehen.
    Henry stieß mich in die Seite und riss mich damit aus meinen missmutigen Gedanken. »Du bist neidisch!«, sagte er.
    Ich schüttelte den Kopf und reichte ihm das Foto zurück. »Wieso sollte ich?«
    »Jedes Mädchen ist neidisch auf sie gewesen. Glaub mir: Das ist ganz normal!«
    Ich schnaubte. »Ich kannte sie nicht mal!«
    Schwer ruhte Henrys Blick auf mir. »Stimmt«, sagte er. »Du kanntest sie nicht.«
    Nach dieser Feststellung begann Henry, von Charlie zu schwärmen. Er erzählte mir, wie fantastisch, sozial engagiert und hochintelligent sie gewesen war. Je länger er sprach, umso durchschnittlicher fühlte ich mich, und ich war heilfroh, als er mit den Worten endete: »David hat sich bei den anderen Jungs der Insel ziemlich unbeliebt gemacht, als er sie sich geangelt hat.«
    »Kann ich mir vorstellen«, murmelte ich lahm. Der Wind schien aufgefrischt zu haben, das trockene Laub an den Bäumen raschelte lauter und mir war jetzt auch hier im Wald sehr ungemütlich zumute. Fröstelnd stellte ich den Kragen meiner Jacke auf. Eine Frage lag mir auf der Zunge.
    Wenn sie so toll war, wie er behauptete, wieso hatte sie sich dann umgebracht? Hatte sie sich überhaupt umgebracht oder war es doch nur ein Unfall gewesen?
    Ich sog die Wange zwischen die Zähne und biss darauf, während ich überlegte.
    Wie es aussah, lag der Schlüssel zu allem auf den Klippen von Gay Head. Ein heftiger Windstoß fuhr durch die Bäume und verwandelte das Rascheln des Laubes in ein leises Wispern. Es hörte sich unheimlich an. Unwillkürlich drehte ich mich um und zog den Kopf zwischen die Schultern.
    Henry sah mich an. »Ich glaube, ich bringe dich lieber zurück. Du siehst aus, als könntest du einen heißen Tee gebrauchen.«
    Kurz darauf marschierten wir über die Auffahrt zum Haupthaus hinauf. Mein Blick fiel auf die Fenster im Obergeschoss. Täuschte ich mich oder stand hinter einem von ihnen Grace? Ich musste blinzeln, weil der Wind mir Tränen in die Augen trieb, und als ich wieder klar sehen konnte, war die Gestalt hinter dem Fenster verschwunden. Vermutlich hatte ich mich wirklich getäuscht.
    Henry hatte bemerkt, dass ich stehen geblieben war. »Was ist?«
    Ich zögerte. Was von den unheimlichen Dingen, die gestern geschehen waren, konnte ich ihm anvertrauen, ohne dass er mich auslachte? »Grace«, murmelte ich.
    Er hob nachdenklich eine Augenbraue. »Das Zimmermädchen?«
    »Ja.« Ich zog die Unterlippe zwischen die Zähne und kaute darauf herum, während ich die nächsten Worte

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