Herz aus Glas (German Edition)
Aufzug wunderte, so hatte er sich gut im Griff. Ich sah kein einziges Anzeichen von Missbilligung in seinen Zügen. Ebenso freundlich wie zuvor Crystal lächelte er auch mich an.
»Guten Tag«, grüßte ich und tat so, als sei es das Natürlichste der Welt, bei knapp über null Grad in Laufklamotten in ein schickes Inselcafé zu marschieren.
Das Mobiliar bestand wie die Hausfassade aus weißem Holz und war im klassischen Shaker-Stil gehalten. Ich ließ mich auf einen der Stühle fallen, die erstaunlich bequem waren. Und zu meiner Erleichterung war der Raum auch ziemlich gut geheizt. Ich hatte schon in der Buchhandlung in meiner Joggingkluft angefangen zu frösteln und inzwischen fror ich ganz ordentlich.
Robin kam an unseren Tisch und Crystal bestellte zwei Latte macchiato mit Karamell-Topping. Ich unterdrückte meinen Ärger darüber, dass sie einfach für mich mitentschied.
»Natürlich!« Seine Begeisterung, uns etwas bringen zu dürfen, ähnelte der, die Rachel, die Buchhändlerin, an den Tag gelegt hatte.
»Ist das dein Cousin?«, fragte ich Crystal, als Robin wieder hinter seinem Tresen verschwunden war und sich an einer riesigen, futuristisch aussehenden Kaffeemaschine daranmachte, unsere Kaffees zuzubereiten.
Crystal hängte ihre Daunenjacke über ihre Stuhllehne, bevor sie mir antwortete. »Robin?« Sie setzte sich mir gegenüber und schlug in einer eleganten Geste die Beine übereinander. »Nein. Er ist hier angestellt. Willie, das ist mein Cousin, kommt nur ab und zu rein, um nach dem Rechten zu sehen.«
Wahrscheinlich betrieb dieser Willie das Café nur als Hobby und war von Beruf eigentlich Börsenmakler oder so. Ich überlegte, ob ich meine Beine ebenfalls übereinanderschlagen sollte, aber dann streckte ich sie unter dem Tisch zur Seite und versuchte, mich ein wenig zu entspannen. Charlies Buch, das ich in seiner Papiertüte neben mir auf einen der Stühle gelegt hatte, zog meine Blicke immer wieder magisch an.
»Hast du was gekauft?«, fragte Crystal. »Bei Rachel, meine ich.«
Ich griff nach der Tüte und holte das Buch hervor. »Nur ein altes Paperback.«
»Rebecca?« Sie rümpfte die Nase. »Das hab ich nie gelesen.«
Ich fragte mich, ob sie überhaupt jemals las. Sie machte nicht den Eindruck, aber ich beschloss, nicht unfair zu sein. Ich kannte sie überhaupt nicht, da konnte ich mir ein solches Urteil eigentlich nicht erlauben.
»Ich auch nicht«, gab ich zu. »Obwohl mein Vater es in seiner Bibliothek stehen hat.«
Neugierig zog sie eine Augenbraue hoch. Jede ihrer Bewegungen wirkte perfekt einstudiert und irgendwie machte sie auf mich den Eindruck einer Schauspielerin, die die reiche Ostküstentochter nur spielte. »Warum hast du es dann gekauft? Wenn ihr es schon habt, meine ich.«
Ich nahm ihr das Buch aus der Hand, drehte es so, dass ich das Bild des brennenden Herrenhauses darauf richtig herum ansehen konnte. »Wenn ich ehrlich bin, dann deswegen«, sagte ich. Ich klappte den vorderen Deckel auf und zeigte Crystal Charlies Namen.
Ihre Augen weiteten sich. »Es hat Charlie gehört?« Der Name kam als kleines Keuchen aus ihrem Mund. Sie wollte etwas hinzufügen, aber in diesem Moment brachte Robin uns unseren Kaffee. Als er wieder weg war, murmelte Crystal: »Hätte ich an deiner Stelle auch gemacht, glaube ich. Das Buch kaufen, meine ich.«
Ganz plötzlich war mir der Gedanke unangenehm, mit ihr über Charlie zu reden. Mit Sicherheit hätte uns das über kurz oder lang auf David gebracht und ausgerechnet mit Crystal wollte ich nun wirklich nicht über ihn sprechen. Ihre laute, ziemlich oberflächliche Art und seine stille Traurigkeit – beides erschien mir plötzlich so gegensätzlich, dass ich mich ganz zerrissen fühlte. Ich sah Davids leere Augen vor mir und ein überraschend heftiger Schmerz zuckte durch mein Herz.
»Eigentlich bin ich bei Rachel reingegangen«, schnitt ich rasch ein anderes Thema an, »weil ich Bücher über die Geschichte der Insel gesucht habe.«
»Geschichte?« Sie sagte es, als sei es etwas Unanständiges.
Ich musste lachen. Dann trank ich einen ersten Schluck von meinem Latte macchiato und hätte beinahe das Gesicht verzogen. Er schmeckte ekelhaft süß. »Ja«, gab ich zurück. »Geschichte. Genauer gesagt, der Untergang der City of Columbus . Hast du davon schon mal gehört?«
Sie zuckte ratlos die Achseln.
»Dieses Schiff, das im 19. Jahrhundert vor der Küste der Insel aufgelaufen und gesunken ist. Eine gewisse Madeleine Bower soll an
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