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Herz aus Glas (German Edition)

Herz aus Glas (German Edition)

Titel: Herz aus Glas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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Bilder waren mit weißen Tüchern verhüllt. Die Wände waren weiß getüncht. Ich kam mir vor wie in einer Schneelandschaft. Fast erwartete ich, meinen eigenen Atem als eisige Wolke zu sehen.
    Ich schlang mir die Arme um den Leib und wandte mich dem einen Bild zu, das nicht verhängt war. Es hing über dem großen, leeren Kamin. Es war ein Ölgemälde einer ungefähr dreißigjährigen Frau mit dunklen, zu einer eleganten Hochsteckfrisur aufgetürmten Haaren und ebenso dunklen Augen, bei denen ein schmaler goldener Ring den Übergang zwischen Pupille und Iris markierte. Die Frau trug ein langes, weit ausgeschnittenes schwarzes Kleid und eine Perlenkette. In den Händen hielt sie eine weiße Lilie, Symbol dafür, dass sie tot war.
    Ihr Blick schien auf mir zu liegen und er besaß die gleiche Intensität wie der von David. Unwillkürlich wich ich einen Schritt zurück.
    »Puh!«, machte ich und mir fiel wieder ein, was Grace mir verraten hatte. Dies hier war ursprünglich das Zimmer von Amanda Bell, Davids Mutter, gewesen. Wie lange war sie schon tot?, überlegte ich.
    Sie war gestorben, als David noch ein kleiner Junge gewesen war, das hatte mir Dad irgendwann mal erzählt. Das Zimmer hier war also seit Jahren unbenutzt und verwaist. Schlagartig erinnerte es mich an ein Mausoleum.
    Ich schnaubte. Das war vermutlich noch schräger als alles andere, was ich bisher auf Sorrow gesehen hatte. Die Leute hier hatten definitiv einen Knall.
    Ich verließ das Zimmer wieder und schloss sorgfältig die Tür hinter mir, damit niemand mein unbefugtes Eindringen bemerken würde. Kurz blieb mein Blick an Davids Zimmertür hängen. Für einen Moment wünschte ich mir, bei ihm zu sein, ignorierte aber diese dumme Anwandlung, trat stattdessen vor Taylors Tür und klopfte.
    »Komm ruhig rein!«, rief Taylors gedämpfte Stimme von drinnen.
    »Ich habe schon mal angefangen«, sagte sie, als ich den Raum betrat und die Tür hinter mir ins Schloss schob. Das hatte sie tatsächlich. Eine Schrankwand war geöffnet und drei verschiedene Kleider lagen auf dem Bett ausgebreitet – ein dunkelblaues, ein gelbes und ein schwarzes Etuikleid, das sehr streng wirkte. Taylor steckte noch mit dem halben Oberkörper im Schrank und wühlte in einem Stapel Blusen herum.
    Ich räusperte mich, um das Unbehagen loszuwerden, das mich in dem Lilienzimmer überfallen hatte. Taylor kroch aus dem Schrank hervor und drehte sich zu mir um. Sie bemerkte sofort, dass etwas nicht stimmte. »Ist was?«, fragte sie noch im Knien.
    Ich lockerte die verkrampften Schultern. »Das Zimmer nebenan«, murmelte ich.
    Taylor richtete sich auf. Ihre Haare waren in Unordnung geraten und sie strich sie hinter die Ohren. »Amandas meinst du?«
    »Das mit den Lilien.«
    Sie nickte. »Amandas.«
    »Ihre Augen ähneln Davids sehr«, sagte ich, wohl wissend, dass ich damit meinen Ausflug in das kalte Zimmer verriet.
    Taylor zog die Augenbrauen nach oben. »Du hast ihr Bild gesehen.«
    Ich nickte und redete mir ein, dass ich ja nichts Verbotenes getan hatte. Das Zimmer war schließlich nicht abgeschlossen und mir hatte auch niemand gesagt, dass ich es nicht betreten durfte. Trotzdem hatte es sich sonderbar angefühlt, dort drinnen zu sein, so als würde ich in alten Geheimnissen wühlen. »Entschuldige«, meinte ich. »Ich war einfach neugierig.«
    Taylor atmete einmal tief durch. »Ja.« Sie nahm eine ihrer Blusen aus dem Schrank und legte sie zu den Kleidern auf das Bett. »Das ist wohl verständlich.«
    »Sie ist tot«, murmelte ich. Ich dachte an die Lilien vor der Tür und an die auf dem Bild.
    »Sie ist schon vor vielen Jahren gestorben«, nickte Taylor. »David ist noch sehr klein gewesen.«
    »Weißt du, wie sie gestorben ist?« Ich trat näher an das Bett und warf einen Blick auf die drei Kleider. Ich war nicht im Geringsten in der Stimmung für eine Anprobe. Die melancholische Atmosphäre des Hauses hatte mich mal wieder völlig im Griff.
    Taylor antwortete mir nicht, ich vermutete, dass sie mich nicht gehört hatte. Erneut kramte sie in ihrem Schrank herum.
    »Warum sind alle Möbel verhüllt?«, fragte ich.
    Sie wandte sich zu mir um. »Jason hat nach ihrem Tod entschieden, dass in dem Zimmer nichts verändert werden darf.« Wieder fiel ihr eine Strähne ins Gesicht, sie blies dagegen. »Na ja, irgendwann hat jemand die Möbel abgedeckt, um sie gegen den Staub zu schützen.«
    Ich beugte mich vor und griff nach dem erstbesten der Kleider. Es war das dunkelblaue. Der Stoff

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