Herz aus Glas (German Edition)
weg!«, erklärte ich. Ich bestand darauf, meinen Latte macchiato selbst zu bezahlen, was ein beträchtliches Loch in meine Barschaft riss. Dann verließen wir das Café gemeinsam. Draußen auf der Straße verabschiedete ich mich von Crystal. Ich entging den obligatorischen Wangenküsschen nur, indem ich so tat, als müsse ich mich wirklich beeilen.
»Bis übermorgen!«, sagte ich und fiel sofort in einen leichten Laufschritt.
»Unten am Strand, bei Lilly Pond!«, rief sie mir noch hinterher, dann hatte ich sie erfolgreich abgehängt.
Als ich auf Sorrow ankam, war ich eigentlich fest entschlossen, eine Dusche zu nehmen und mich aufs Bett zu werfen, um Charlies Taschenbuch zu lesen. Aber so weit kam es nicht, denn schon in der Eingangshalle trat mir Taylor entgegen.
»Da bist du ja!«
Sie wirkte ein bisschen erleichtert und das zeigte mir, dass ich wirklich viel länger weg gewesen war, als ich geplant hatte. Ein Blick auf die große Standuhr in der Halle zeigte mir, dass es bereits weit nach Mittag war.
»Entschuldige«, murmelte ich. »Ich habe Crystal getroffen, wir sind zusammen einen Kaffee trinken gegangen. Da muss ich die Zeit vergessen haben.«
Sie nickte und wies auf die Papiertüte in meiner Hand. »Du warst bei Rachel!«
Ich hob die Tüte in die Höhe. »Ja. Hab mir ein Taschenbuch gekauft.« Ich hoffte, sie würde mich nicht drauf hinweisen, dass die ganze Bibliothek und auch das Bücherregal in meinem Appartement vollgestopft waren mit Büchern. Und noch mehr hoffte ich, dass sie sich meinen Einkauf nicht zeigen lassen wollte. Sie schien sich jedoch nicht für mein Buch zu interessieren, sondern sagte: »Wir müssen uns ein bisschen beeilen, wenn wir rechtzeitig vor dem Abendessen ein passendes Kleid für dich gefunden haben wollen.«
Die Cocktailparty heute Abend! Die hatte ich völlig vergessen. Ich unterdrückte ein Stöhnen. »Ich muss erst duschen, so kann ich keine Kleider anprobieren.«
Sie musterte mich und nickte. »Stimmt wohl. Wir treffen uns in einer Viertelstunde in meinem Zimmer. Du weißt noch, wo das ist?«
Ich warf einen Blick die Freitreppe hinauf. »Klar«, sagte ich und hoffte, dass es nicht so genervt klang, wie ich mich fühlte.
Eine Viertelstunde fürs Duschen, Abtrocknen und Wiederanziehen war selbst für meine Verhältnisse knapp, obwohl ich sonst eher wenig Zeit im Bad verbrachte. Ich musste mich also ziemlich beeilen, um Taylor nicht allzu lange warten zu lassen. Als ich mit nassen Haaren aus dem Bad kam, fiel mein Blick auf den Rebecca- Roman, den ich auf mein Bett geworfen hatte. Zu gern hätte ich das Buch jetzt gelesen, aber stattdessen musste ich Anziehpüppchen spielen.
Frustriert warf ich das Handtuch aufs Bett und schlüpfte in Jeans und Sweater. Dann fuhr ich mir mit einem Kamm ein paar Mal durch meine wirren Haare und warf einen prüfenden Blick in den großen Spiegel an der Badezimmertür. Nicht der Burner, aber ganz okay. Meine Wangen waren vom Laufen im eisigen Wind noch immer leicht gerötet, sodass es aussah, als hätte ich Rouge aufgetragen. Mit einem letzten bedauernden Blick auf Rebecca verließ ich mein Appartement und eilte hinüber ins Haupthaus.
Dort war es sehr still. Ich eilte die Treppe hinauf und blieb in dem Flur stehen. Vor dem verschlossenen Zimmer standen noch immer Vasen mit Lilien, doch die Blumen schienen ausgetauscht worden zu sein, jedenfalls rochen diese Exemplare weitaus stärker als die von neulich. Der süßlich-schwere Duft kitzelte mir in der Nase. Ich unterdrückte ein Niesen. Plötzlich überkam mich der drängende Wunsch, einen Blick in das Lilienzimmer zu werfen.
Ich zögerte, aber schließlich gab ich dem Impuls nach. Ich warf einen Blick über die Schulter, um zu prüfen, ob jemand mich beobachtete, dann streckte ich die Hand nach der Türklinke aus. Das Metall war kalt. Lautlos drückte ich die Klinke hinunter und schob die Tür einen Spalt weit auf. Eisige Luft strömte mir entgegen. Verdammt, machten die denn hier eigentlich nie die Fenster zu?
Ich öffnete die Tür so weit, dass ich hindurchschlüpfen konnte, und um nicht doch noch entdeckt zu werden, schloss ich sie hinter mir wieder.
Die Fenster standen tatsächlich allesamt auf. In dem eisigen Luftzug, der hereinwehte, bewegten sich die dunkelroten Vorhänge sachte hin und her. Ich blieb mitten im Raum stehen. Neugierig sah ich mich um.
Sämtliche Möbel, jeder Sessel, jeder Stuhl, die Tische, Schränke, sogar die Lampen und bis auf ein einziges auch alle
Weitere Kostenlose Bücher