Herz aus Glas (German Edition)
meiner Seele durchleuchten. Was für ein fieses Gefühl!
Ich wich ihm aus. Mein Herz klopfte. Sag was!, bat ich ihn im Stillen. Von mir aus, schrei mich an, nenn mich eine dämliche Kuh, aber hör auf, mich so anzusehen!
Sein Schweigen war unerträglich.
Ich griff nach meinem Weinglas, damit er nicht sah, wie meine Hände zitterten.
»Entschuldige«, sagte er, genau in dem Moment, als es mir gelungen war, das Glas unfallfrei an die Lippen zu führen.
Ich verschluckte mich an meinem Wein. Hustend stellte ich das Glas wieder ab und tastete nach der Serviette, die auf meinem Schoß lag.
Na toll! Jetzt benahm ich mich auch noch daneben.
Suzies Blick lag abschätzig auf mir, aber zu meinem Glück verkniff sie sich eine Bemerkung.
Henry jedoch stieß ein Lachen aus, das sehr unsicher klang. »Du hast echt eine Vollmacke, Kumpel, weißt du das?«
Zum Glück war das Essen irgendwann vorbei. Jason hob die Tafel auf und bat uns alle hinüber in die Bibliothek, wo die Drinks serviert werden sollten. Wir waren kaum dort angekommen, als Henry mich zur Seite nahm und leise sagte: »Du konntest es nicht wissen! Mach dir bloß nicht seinetwegen jetzt auch noch Vorwürfe!«
Ich dachte daran, wie David auf das Kleid reagiert hatte, und in diesem Moment kam mir ein schrecklicher Gedanke. Wenn er schon auf Taylors Kleid so heftig reagierte, was würde er dann erst sagen, wenn er erfuhr, dass ich Charlies Buch gekauft hatte?
»Was ist?«, fragte Henry mich. »Dir ist irgendwas eingefallen, oder?«
Ich rieb mir über den Nasenrücken. Meine Augen juckten und ich musste mich zusammenreißen, um sie nicht zu reiben, weil das mein gesamtes kunstvolles Make-up ruiniert hätte. Sollte ich Henry von dem Buch erzählen? Im ersten Moment hielt ich das für keine gute Idee, aber dann wurde mir bewusst, dass er vermutlich mein einziger wirklicher Verbündeter hier war. Er war der Einzige, der ohne Wenn und Aber auf Davids Seite stand.
Also erzählte ich ihm kurz, wie ich das Buch in Rachels Buchhandlung gefunden und gekauft hatte.
»Und es steht ihr Name drin?« Er sah nicht aus, als überrasche ihn diese Geschichte besonders.
Ich nickte.
»Sie hat öfter Bücher zu Rachel gebracht«, sagte er. »Rebecca, sagtest du?«
»Ja. Von Daphne du Maurier.« Ich fuhr mir mit der Zungenspitze über die Lippen. Auf meiner Zunge lag der säuerliche Geschmack des Weißweins. »Rachel hat mir erzählt, dass Charlie ihr das Buch genau am Tag vor ihrem Tod gebracht hat. Und dass sie sehr bedrückt gewirkt hat.«
»Rebecca«, murmelte Henry. Dann fuhr er mit der Hand durch die Luft, als wolle er das Thema fortwischen. »Hat wahrscheinlich nichts zu bedeuten. Das Buch, meine ich. Was sollte da schon drinstehen, das sie dazu gebracht hätte …« Sein Blick huschte durch den Raum, um sicherzugehen, dass uns niemand zuhörte. David stand bei Jason und Suzie. Roman und mein Vater hatten sich in die Sitzecke zurückgezogen und fachsimpelten über irgendein Problem beim Schreiben. Niemand schien uns zu beachten, dennoch senkte Henry die Stimme noch ein bisschen mehr, als er ergänzte: »… von der Klippe zu springen.«
Ich überlegte. Rachel hatte behauptet, dass Charlie das Buch loswerden wollte, aber ich kam nicht dazu, das auch noch zu erwähnen, denn in diesem Moment erschien Grace in der Tür und kündigte weiteren Besuch an.
»Mr Bell, Miss Primrose und die beiden Lektorinnen sind jetzt da.« Sie trat beiseite, damit die Neuankömmlinge eintreten konnten.
»Besser, du verschweigst David, dass du das Buch hast!«, raunte Henry mir noch zu, dann kam auch schon eine fast zwei Meter große Frau hereingesegelt, die in ein weites, wallendes und schreiend bunt gefärbtes Gewand gehüllt war. Sie war deutlich über fünfzig und trug noch mehr dicken Silberschmuck als Rachel heute Morgen. Sie begrüßte jeden im Raum mit einem entzückten Ausruf, der so albern klang, dass ich trotz meiner Anspannung ein wenig schmunzeln musste. Ich kannte die Frau schon von einer Lesung, die ich einmal besucht hatte. Sie hieß Kimberley Primrose und war eine weitere von Jasons Bestsellerautorinnen. Warum sie jetzt erst kam und nicht zum Essen eingeladen worden war, war mir schleierhaft. Sie jedoch schien es nicht im Mindesten zu stören. Sie begrüßte zuerst Jason, indem sie ihn an ihren ausladenden Busen zog, dann Roman und schließlich meinen Vater. Dad quittierte die innige Berührung mit einem so verzweifelten Gesichtsausdruck, dass er mir schon wieder leidtat.
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