Herz aus Glas (German Edition)
der letzten Zeit so verpeilt gewesen. Vielleicht hatte ich das Buch gar nicht in die Schublade gelegt, sondern irgendwo herumliegen lassen.
Ich drehte mich einmal um meine eigene Achse, ließ meinen Blick über die Möbel wandern, über das Bücherregal, den Couchtisch, die Sessel. Als ich an das Regal treten wollte, um nachzusehen, ob Grace das Buch vielleicht zwischen die anderen sortierte hatte, begann der Boden unter meinen Füßen zu schwanken.
Ich blieb stehen und versuchte, das Schwindelgefühl unter Kontrolle zu bekommen. Mein Kopf fühlte sich an wie mit Watte vollgestopft.
»Alles in Ordnung?« David trat vor mich hin und sah mir ins Gesicht. »Du bist ganz blass geworden.«
Ich nickte, aber das war keine gute Idee. Mein Gehirn schien bei der Bewegung von innen gegen meinen Schädel zu schlagen, ein heftiger Kopfschmerz zuckte durch meinen Kopf. Vor Schmerz kniff ich die Augen zusammen.
»Komm!« David nahm mich am Ellenbogen und führte mich zu einem der Sessel. »Setz dich lieber! Ich hole dir ein Glas Wasser.«
Er verschwand kurz im Bad, und als er mit meinem gefüllten Zahnputzbecher wiederkam, ging es mir schon wieder ein bisschen besser.
»Danke«, murmelte ich, trank einen Schluck und stellte den Becher dann fort.
»Was war los?«
Ich überlegte, was ich ihm sagen sollte. Ich wollte ihn nicht beunruhigen, also behauptete ich: »Nur ein kleiner Schwindelanfall. Ich glaube, ich habe heute ein bisschen zu wenig gegessen.« Ich unterstrich meine Worte mit einem schwachen Grinsen, aber ich war mir nicht sicher, ob David mir die Lüge abkaufte.
Er sah mich jedenfalls ziemlich skeptisch und vor allem ziemlich ernst an. Ich rätselte wieder einmal, was hinter seiner Stirn vorging.
»Das Buch«, murmelte ich. »Schau mal im Regal nach, ob es da steht.«
Das tat er, und als er kurz darauf resigniert den Kopf schüttelte, sagte ich: »Es war da, David!«
Er wollte es glauben, das konnte ich ihm ansehen. Mit aller Kraft wollte er daran glauben, dass ich ihm die Wahrheit sagte, und das zeigte mir, wie wichtig das Buch für ihn war. Was hatte er Henry gesagt?
Es kann sein, dass darin ein Hinweis ist, warum Charlie sich umgebracht hat.
»Jemand muss es weggenommen haben.« Ich versuchte, so viel Überzeugung wie nur möglich in meine Stimme zu legen, aber plötzlich war ich mir selbst nicht mehr sicher. Ich dachte an das gruselige Gewisper, das ich auf den Klippen gehört und mir doch auf jeden Fall nur eingebildet hatte.
Was, wenn ich mir das Buch auch nur einbildete?
Der Gedanke war so plötzlich da, dass ich schlucken musste.
Unsinn! Ich war doch nicht bescheuert. Ich erinnerte mich genau daran, wie ich das Buch bei Rachel gekauft hatte. Blöderweise erinnerte ich mich ebenso gut daran, wie ich es in die Schublade gelegt hatte.
»Es ist schon spät. Grace schläft bestimmt schon. Morgen können wir sie fragen, wo es sein könnte.« David war so blass und sah derartig erschöpft aus, dass ich fürchtete, er würde bald zusammenbrechen.
Erst wollte er protestieren, aber als ich ihn, wie eben im Auto, am Arm berührte, hielt er inne. Dann nickte er. »Du hast recht«, murmelte er. Er wünschte mir eine gute Nacht und ließ mich schließlich allein.
Ich starrte auf die Tür, durch die er verschwunden war, und als ich hinter ihm abschloss, war ich mir sicher, dass er in dieser Nacht kaum Ruhe finden würde.
Ich allerdings auch nicht. Denn kaum eine Viertelstunde, nachdem David weg war, klopfte es an meiner Tür. Ich war gerade im Bad und putzte mir die Zähne. Eilig spülte ich mir den Mund aus und ging, um zu öffnen. Ich dachte, David wäre noch einmal zurückgekommen, aber stattdessen stand mein Vater vor mir. Seine Haare waren zerrauft, wie immer, wenn er intensiv schrieb.
»Ach, du!«, sagte ich lahm.
»Bitte entschuldige, dass ich nicht mit schwarzem Rollkragenpullover und großen dunklen Welpenaugen dienen kann«, entgegnete er leicht pikiert.
Ich musste schmunzeln. »Entschuldige! Komm rein.«
Er trat ein und in diesem Augenblick erst ging ihm auf, was er da gerade gesagt hatte. »Heißt das, du hast tatsächlich ihn erwartet?« Er sagte das mit einem entsetzten kleinen Keuchen. Ich wusste, dass er mich noch immer für seine kleine, süße Prinzessin hielt, die auf seine Knie krabbelte, wenn sie sich wehgetan hatte. Mit der Vorstellung, dass ich einen Freund haben könnte, war er noch nie klargekommen.
»Keine Sorge!«, beruhigte ich ihn. »Ja, ich habe tatsächlich geglaubt, dass
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