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Herz aus Glas (German Edition)

Herz aus Glas (German Edition)

Titel: Herz aus Glas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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reagieren würde.
    Unfähig, mich zu rühren, sah ich zu, wie er sich erhob und das Dreieck der Feuerstellen verließ. Direkt an der Grenze zwischen Licht und Dunkelheit blieb er kurz stehen. Ich war nicht sicher, aber ich glaubte, ihn schwanken zu sehen. Dann ging er weiter und die Dunkelheit verschluckte ihn.
    »Scheiße!«, murmelte Henry.
    »Halt das mal!«, bat ich Crystal und drückte ihr meine Bierflasche in die Hand.
    So schnell ich konnte, rannte ich David nach. Die Splitter, in die sich mein Herz verwandelt hatte, klirrten in meiner Brust und raubten mir fast den Atem.

E r musste schnell gegangen sein, denn ich schaffte es nicht, ihn einzuholen. Hinter mir setzte die Musik wieder ein, wurde aber leiser, je weiter ich lief. Schließlich übertönte das Rauschen der Brandung sie ganz. Die einsame Möwe schien sich entschlossen zu haben, schlafen zu gehen, jedenfalls schwieg sie jetzt. Einmal hörte ich in den Dünen etwas, das wie das Kläffen eines Hundes klang. Sonst war ich umgeben von tiefer, unheimlicher Stille.
    Kurz nachdem ich losgegangen war, kam der Mond hinter den Wolken hervor. Am Flutsaum konnte ich die Muscheln und Algenreste sehen, die das Wasser angespült hatte. Davids Spuren waren in dem fahlen Licht gut zu erkennen und ich folgte ihnen, bis sie im rechten Winkel von der Wasserkante abbogen und in die Dünen führten.
    David saß am Rand einer Art Senke. Ein Bein hatte er angezogen, das andere lang ausgestreckt und schweigend starrte er in eine Ferne, die nur er sehen konnte. Unschlüssig blieb ich stehen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Brauchte er jemanden, der sich zu ihm setzte, oder war es besser, ihn in Ruhe zu lassen? Es war unmöglich, es ihm anzusehen, zumal er mir den Rücken zuwandte.
    Schließlich entschied ich, dass ich ihn besser nicht störte. So leise wie möglich zog ich mich zurück, doch ich war offenbar nicht leise genug.
    »Komm ruhig näher«, forderte er mich auf.
    Ich hielt inne. Wie lange hatte er schon gewusst, dass ich da war?
    Mit einem unguten Gefühl trat ich näher. »Ich wollte dir nicht auf den Geist gehen.«
    »Setz dich!«, bat er.
    Ich tat, was er sagte. »Das, was Ricky da eben …«
    Er unterbrach mich mit einer Art Zischen.
    Ich wartete. Mein zersplittertes Herz schmerzte noch immer und dazu kam jetzt ein Gefühl in meinem Magen, das ich im ersten Moment nicht einzuordnen wusste. Es wuchs und wuchs. Erst, als es mich ganz und gar ausfüllte, begriff ich, dass es Angst war. Angst vor dem, was er gleich sagen würde. Ich grub die Hände in den Sand, bis mir die feinen Körner unter die Fingernägel drangen und dort anfingen zu schmerzen.
    »Sie ist nicht die Einzige, die das denkt«, sagte David.
    Ich hätte ihn am liebsten gepackt und geschüttelt, weil er so ruhig war. So unheimlich ruhig. Hast du es getan?, wollte ich ihn fragen, aber meine Zunge war wie gelähmt. Es wäre eine Erklärung für sein gequältes Verhalten gewesen. Was hatte Henry gesagt: Aus irgendeinem Grund gibt er sich die Schuld an ihrem Tod . In meinem Kopf kreisten die Gedanken.
    Noch immer lag Davids Blick auf mir, seine Hand tastete zu seiner hinteren Hosentasche. Er zog den fliederfarbenen Brief heraus.
    »Ich habe es nicht getan«, sagte er. Vor lauter Erleichterung sackte ich in mich zusammen.
    Er sah es und seine Lippen wurden weiß.
    »Warum wirkst du dann so schuldig?« Hatte ich das tatsächlich gefragt? Ich konnte es selbst kaum fassen. Jetzt würde er wütend auf mich werden! Er würde aufstehen, auf mich niederstarren, verletzt und enttäuscht, weil ich ihm nicht glaubte. Weil ich ihm einen Mord zutraute. Und dann würde er mich einfach hier in der Finsternis sitzen lassen.
    Er tat nichts davon. Stattdessen drehte er den Brief in den Händen, bis ich fast wahnsinnig wurde.
    »David! Bitte!«, flehte ich ihn an.
    »Henry denkt, es ist ihr Abschiedsbrief«, flüsterte er. »Aber das stimmt nicht. Sie hat ihn mir gegeben, auf der Klippe, kurz bevor sie gesprungen ist, aber es ist kein Abschiedsbrief.«
    Ich zwang mich, die Hände aus dem Sand zu ziehen. Sie waren schmutzig und ich wischte sie an meiner Jeans ab. Dann streckte ich die Hand nach dem Brief aus.
    Doch David steckte ihn wieder in seine Hosentasche.
    »Darin steht der Grund, warum du dich schuldig an ihrem Tod fühlst, oder?«, fragte ich. »Darin und in dem Buch.«
    Er fuhr zusammen. »Was weißt du von dem Buch?«
    »Ich habe dich und Henry gestern Nacht gehört. Als ihr draußen auf der Wiese darüber

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