Herz aus Glas (German Edition)
du David bist, aber nur, weil ich dachte, er hat was vergessen.«
Dads Augen quollen hervor. »Dann war er … hier? In deinem …« Mit einem Ächzen ließ er sich auf die Couch plumpsen.
Ich kam mir ein bisschen gemein vor, denn ich hatte das eben natürlich mit voller Absicht gesagt, weil ich wusste, welchen Schluss er daraus ziehen würde. Jetzt ließ ich ihn noch ein bisschen zappeln, bevor ich ihn beruhigte: »Ja. Er war hier, aber nur, weil er mich von der Party hierher gefahren hat. Keine Sorge, Dad. Er ist der vollendete Gentleman!« Ich setzte mich neben ihn und lehnte mich ein bisschen an, weil ich wusste, dass er das mochte.
Erleichtert blies mein Vater die Wangen auf. »Gott sei Dank!«
»Weswegen bist du noch mal hier?«, brachte ich ihn auf den eigentlichen Grund für sein Kommen zurück.
»Oh. Richtig! Eigentlich wollte ich dir sagen, dass ich die Rohfassung fertig habe.«
Er hatte es also tatsächlich geschafft, die kleine Privatparty, die Jason für ihn und Kimmi Primrose organisiert hatte, zu schwänzen? Und er hatte allen Ernstes geschrieben? An Silvester? Was war mein Dad eigentlich für ein Wesen?, fragte ich mich entgeistert. Ein menschliches auf keinen Fall.
Ich pustete mir gegen die Stirn. »Wie bist du darauf gekommen, dass ich hier bin? Eigentlich wollte ich doch auf einer Party sein.«
Er schaute mich an, als sei ihm das erst in diesem Moment wieder eingefallen. »Ach … stimmt.« Er blinzelte müde. »Ich dachte … ach egal! Weißt du was? Ich fände es ganz schön, wenn wir beide auf den Jahreswechsel anstoßen würden.« Er grinste schelmisch. »Ich habe aus Jasons Weinkeller einen ziemlich guten Champagner geklaut.«
Ich hatte zwar keine rechte Lust auf diese Aktion, aber ich konnte ihn auch schlecht einfach hinauswerfen, also nickte ich und behauptete: »Das wäre toll!«
Er ging und kehrte gleich darauf mit zwei Kristallgläsern und einer staubigen Flasche zurück. Alles drei stellte er auf den Couchtisch, denn bis Mitternacht war noch ein wenig Zeit. »Warum bist du eigentlich schon wieder zurück?«, fragte er mich.
»Die Party war nicht so prall, da dachten wir, wir fahren lieber wieder nach Hause.«
»Das tut mir leid«, sagte Dad. »Ich habe dich ganz schön vernachlässigt in den letzten Tagen, oder?«
»Nicht mehr als sonst auch, wenn du schreibst«, sagte ich reflexartig.
Er wirkte schuldbewusst, und das verstärkte meinen Ärger sonderbarerweise. Eigentlich war ich es ja gewohnt, dass er mich ignorierte. Warum störte es mich ausgerechnet in diesem Augenblick so sehr? Die ganzen letzten Tage hatte ich nur selten einen Gedanken an meinen schreibenden Vater verschwendet und nun, da er aus seinem Schneckenhaus gekrochen kam, war ich sauer auf ihn?
Vermutlich hing es mit dem Scherbenhaufen zusammen, den ich in meiner Brust mit mir herumtrug. Konnte man ein Herz eigentlich wieder zusammensetzen?
Ich seufzte schwer. »Schon gut!«
Er verdrehte die Augen gen Decke, wie er es gerne tat, wenn er angestrengt nachdachte. »Wie geht es mit David?«
»Okay so weit.« Ich versuchte, möglichst gleichgültig zu klingen, aber offenbar gelang mir das nicht besonders gut.
Dad runzelte die Stirn. »Also nicht so toll, was? Das tut mir …« Er unterbrach sich, bevor er schon wieder sagen konnte, dass es ihm leidtat.
»Falls Jason fragt, sag ihm, er kann beruhigt sein: Ich glaube, dass David nicht mehr vorhat, sich umzubringen.«
Nicht, dass es mein Verdienst wäre, fügte ich im Stillen hinzu.
»Oh. Das ist gut.« Dad war anzusehen, wie ratlos ihn dieses Gespräch machte. Im Umgang mit echten Menschen war er wirklich eine Katastrophe!
Eine Weile schwiegen wir beide betreten und ich suchte nach einem neuen Gesprächsthema. Schließlich beschloss ich, mich etwas zuzuwenden, bei dem mein Vater mit Sicherheit gesprächig wurde: Bücher.
»Sag mal, du kennst doch bestimmt Rebecca, den Roman von Daphne du Maurier?«, fragte ich.
»Natürlich!« Seine Miene hellte sich schlagartig auf. Er sah aus wie ein Mensch, der nach einem gefährlichen Marsch durch ein tückisches Moor endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatte. »Du müsstest es eigentlich auch kennen. Wenn ich mich richtig erinnere, hast du es an deinem zwölften Geburtstag aus unserem Regal genommen. Ich kann mich daran erinnern, dass du den Anfang langweilig fandest.«
Das war ja mal wieder typisch! Er vergaß, dass ich mit ihm hier war, er vergaß sogar manchmal, dass ich überhaupt existierte. Aber er
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