Herz aus Glas (German Edition)
aus.
Henry zerriss die Spannung, indem er auflachte. »Sie hat dich in der Hand, mein Lieber, und das weißt du so gut wie ich!«
In diesem Moment erst wurde mir klar, dass ich David manipulierte.
»Ähm!« Ich räusperte mich unbehaglich. »Es war eine blöde Idee. Entschuldige, David! Wenn du keine Lust hast, fahren Henry und ich natürlich alleine!«
»Den Teufel werden wir tun!«, knurrte Henry. Er war inzwischen an der Zimmertür angekommen. Mit herausfordernd vorgerecktem Kinn öffnete er sie, dann wies er mit einer Kopfbewegung nach draußen. »Schwing deinen mageren Arsch in mein Auto, sonst tue ich es, Kumpel!«
Mit sehr langsamen Bewegungen streifte David sich seine Jacke über. Dicht an mir vorbei ging er zur Tür. Der Blick, den er mir zuwarf, war so ausdruckslos, wie ich es von ihm gewohnt war, aber an der Art, wie er sich bewegte, konnte ich ablesen, dass er jetzt wirklich wütend war.
Er war es auch noch, als wir in Oak Bluffs die Galerie betraten. Auf der Fahrt hatte er eisern geschwiegen und irgendwie war mir das ganz recht gewesen. Andernfalls hätte ich mit ihm vielleicht noch einmal über das verschwundene Buch reden müssen. Nach Grace’ erschrockener Reaktion heute Morgen löste allein die Vorstellung Unbehagen bei mir aus. Alles, was ich hier bisher über Geister im Allgemeinen und über Madeleine im Speziellen erfahren hatte, spukte mir unablässig durch den Kopf. Ich musste mich zwingen, die Gedanken daran von mir zu schieben. Heute, beschloss ich schließlich trotzig, würde ich einmal einen Tag freimachen. Frei von all dem Düsteren, Unheimlichen. Blöd nur, dass ich nicht von meinem Liebeskummer freinehmen konnte.
Der Laden erwies sich als eine Art Souvenir- und Trödelladen, in dem man neben Bildern örtlicher Künstler auch allerlei Krimskrams kaufen konnte. Während Henry mit der Ladenbesitzerin, die er Heather nannte, über seine Bilder verhandelte und David es vorzog, am Fenster zu stehen und schweigend hinaus auf die Straße zu starren, sah ich mich ein wenig um. Es gab eine Menge maritimes Zeug. Kleine Keramikmöwen, die mit ihren riesigen Kulleraugen und Kapitänsmützen ziemlich albern aussahen, Figuren, die offenbar aus Treibholz geschnitzt worden waren und ziemlich rätselhaft wirkten, und indianische Kunstgegenstände: Das Sortiment bot einen bunten Querschnitt von allerlei Schnickschnack, für das Touristen offenbar bereit waren, Geld auszugeben.
Ich drehte eines der Preisschilder um, die an den Treibholzskulpturen hingen, und schnalzte erschrocken mit der Zunge.
Dafür kauften Leute wie ich ein Auto!
Mein Blick fiel auf eine Vitrine mit schwerem indianischem Silberschmuck. Neugierig trat ich näher. Es handelte sich um Ketten, Ringe und mehrere Armreifen aus Silber, die allesamt mit großen dunkelroten Steinen verziert waren. Sie gefielen mir ausgesprochen gut. Besonders schön fand ich eines der breiten Armbänder, in die rings um den Stein ein verschlungenes, sehr traditionell aussehendes Muster eingraviert war.
Ich betrachtete es eine Weile und suchte dann nach einem Preis. Wie ich vermutet hatte, bekam ich bei den Zahlen Schnappatmung.
Ich wandte mich zu Henry um, der inzwischen seine Bilder auf dem Ladentisch ausgebreitet hatte und versuchte, Heather davon zu überzeugen, sie alle zu nehmen.
»Ich weiß nicht, Henry«, sagte die Ladenbesitzerin gerade. »Ich meine, die sind hübsch und vor allem auch nicht so unheimlich wie deine anderen Werke. Aber die Leute wollen eben eher die romantische Variante.« Sie wies auf eine Wand, an der eine Reihe von kitschig bunten Strandansichten hing, die mich an die Bilder von Thomas Kincade erinnerten.
Ich musste schmunzeln. »Das ist wahre Kunst, Henry! Da kannst du mit deinem seichten Kitsch nicht mithalten.«
Er verzog das Gesicht, als habe er plötzlich Zahnschmerzen bekommen. »Spotte nur!«, grummelte er. Dann wandte er sich wieder an Heather. »Du kannst mir doch nicht erzählen, dass es auf Vineyard nur Touristen ohne Kunstverstand gibt!«
Sie sah ihn mit einer Mischung aus Mitleid und Verzweiflung an. »Glaub mir, ich kann diese pastelligen Machwerke auch nicht mehr ertragen, aber das ist es eben, was die Leute wollen.«
Ich überließ Henry seinem Verkaufsgespräch und gesellte mich zu David. »Er sollte mal sein Farbenrepertoire wechseln«, sagte ich.
»Eher friert die Hölle zu!« Davids Mundwinkel zuckte ein wenig.
Ermuntert von diesem Anzeichen von Normalität lachte ich auf. »Wahrscheinlich hast du
Weitere Kostenlose Bücher