Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Herz der Finsternis

Titel: Herz der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Conrad
Vom Netzwerk:
sagte ich zuversichtlich.
    Doch sie kamen nicht. Statt der Nieten kam eine Invasion, eine Plage, eine Heimsuchung. Sie kam in Abschnitten während der
     nächsten drei Wochen, jeder Abschnitt wurde von einem Esel mit einem weißen Mann in neuen Kleidern und hellen Schuhen angeführt,
     der sich von seinem erhöhten Platz nach rechts und nach links vor den beeindruckten Pilgern verneigte. Eine streitsüchtige
     Bande mürrischer Nigger mit wunden Füßen trottete hinter dem Esel her; ein Haufen Zelte, Feldstühle, Blechbüchsen, weiße Kisten,
     braune Ballen wurden auf dem Hof abgeworfen, und über dem Durcheinander der Station verdichtete sich die Aura des Geheimnisvollen
     noch ein wenig. Sie kamen in fünf Raten, grotesk wie in ungeordneter Flucht mit der Beute zahlloser Ausrüstungsläden und Verpflegungslager,
     die sie, hätte man meinen können, nach dem Plündern in die Wildnis schleppten, um sie gerecht aufzuteilen. Ein unentwirrbarer
     Wust von an sich brauchbaren Dingen, den die menschliche Torheit wie Diebesgut aussehen ließ.
    Die emsige Bande nannte sich Eldorado-Forschungs-Expedition, und ich glaube, sie hatten sich zur Geheimhaltung verpflichtet.
     Dabei klang ihr Geschwätz wie das Geschwätz gemeiner Freibeuter. Es war maßlos ohne Kühnheit dahinter, gierig ohne Wagemut
     und grausam ohne Courage. Kein Fünkchen Weitblick oder ernsthafte Absicht fand sich in dem ganzen Haufen, und sie schienen
     sich nicht bewußt, daß solche Dinge nötig sind, um in der Welt etwas zu bewirken. Schätze aus den Eingeweiden des Landes zu
     reißen war ihr Wunsch, ohne einen anderen moralischen Anspruch als den eines Einbrechers, der einen Tresor knackt. Wer die
     Kosten des edlen Unternehmens trug, weiß ich nicht; doch der Anführer dieses Packs war unseres Managers Onkel.
    |51| Äußerlich wirkte er wie ein Metzger in einem Armenviertel, und in seinem Blick lag schläfrige Verschlagenheit. Seinen fetten
     Bauch trug er stolz auf kurzen Beinen durch die Gegend, und in der ganzen Zeit, in der seine Bande die Station heimsuchte,
     redete er mit keinem außer seinem Neffen. Die beiden streiften den ganzen Tag herum, die Köpfe zusammengesteckt im endlosen
     Plausch.
    Ich hatte es aufgegeben, mich wegen der Nieten verrückt zu machen. Die Kapazität für solche Mätzchen ist beschränkter, als
     man glauben möchte. Zum Henker! dachte ich – und ließ die Dinge schleifen. Zeit zum Grübeln hatte ich mehr als genug, und
     hin und wieder dachte ich auch an Kurtz. Er interessierte mich nicht besonders. Nein. Freilich war ich immer noch neugierig
     herauszufinden, ob dieser Mann, der mit gewissen moralischen Vorstellungen hier herausgekommen war, es am Ende an die Spitze
     schaffen und wie er seine Arbeit machen würde, wenn er dort war.«

|53| II
    »Eines Abends, als ich ausgestreckt auf dem Deck meines Dampfers lag, hörte ich Stimmen, die näher kamen – der Neffe und der
     Onkel schlenderten das Ufer entlang. Ich legte den Kopf wieder auf den Arm und schlummerte beinahe ein, als jemand sagte –
     als spräche er mir direkt ins Ohr: ›Ich bin so harmlos wie ein kleines Kind, aber ich mag es nicht, herumkommandiert zu werden.
     Bin ich der Manager – oder bin ich’s nicht? Sie haben mir befohlen, ihn da rauf zu schicken. Nicht zu fassen.‹   ... Ich begriff, daß die beiden am Ufer genau vor dem Bug meines Dampfers standen, direkt unter meinem Kopf. Ich bewegte mich
     nicht. Es kam mir garnicht in den Sinn, mich zu bewegen. Ich war schläfrig. ›Das ist wirklich unangenehm‹, grunzte der Onkel.
     ›Er hat bei der Regierung darum ersucht, da raus geschickt zu werden‹, fuhr der andere fort, ›um zu zeigen, was er erreichen
     kann; und ich habe entsprechende Anweisungen erhalten. Welchen Einfluß dieser Mann haben muß. Ist es nicht erschreckend?‹
     Sie waren einer Meinung, daß es erschreckend war, dann machten sie mehrere seltsame Bemerkungen: ›Diktiert Regen und Sonnenschein
     – ein Mann – die Verwaltung – an der Nase herum‹ – Bruchstücke ungereimter Sätze, die mir die Müdigkeit schließlich vertrieben,
     so daß ich fast wieder bei vollem Bewußtsein war, als der Onkel sagte: ›Vielleicht löst das Klima das Problem für dich. Ist
     er allein dort?‹ ›Ja‹, antwortete der Manager, ›er hat seinen Assistenten den Fluß heruntergeschickt mit einer Nachricht für
     mich – in diesem Stil: ‘Bringen Sie den armen Kerl außer Landes und machen Sie sich nicht die Mühe, mehr von |54|

Weitere Kostenlose Bücher