Herz der Finsternis
hoffnungsfroher
machte, als ich seit Tagen gewesen war. Es war eine wahre Wohltat, mich von diesem Kerl ab- und meinem einflußreichen Freund
zuzuwenden – dem geschundenen, zerbeulten, kaputten Blechbüchsendampfer. Ich kletterte an Bord. Er dröhnte unter meinen Schritten
wie eine leere Dose Huntley & Palmer Biscuits, die man in den Rinnstein kickt; und auch wenn er weder so solide |48| gebaut noch so schön anzusehen war, was seine Formen anging, hatte ich genug harte Arbeit hineingesteckt, um ihn zu lieben.
Kein einflussreicher Freund hätte mehr für mich tun können. Das Boot erlaubte mir, ein wenig hinauszukommen – herauszubekommen,
was ich tun konnte. Nein, ich schätze das Arbeiten nicht. Lieber faulenze ich und denke über all die schönen Dinge nach, die
getan werden können. Ich schätze das Arbeiten nicht – das tut kein Mensch –, aber ich schätze das, was im Arbeiten steckt – die Chance, zu sich selbst zu kommen. Zur eigenen Wirklichkeit – für dich
selbst, nicht für die anderen – wovon kein anderer je wissen kann. Sie sehen nur den bloßen Schein und können nie erraten,
was es wirklich damit auf sich hat.
Ich war nicht überrascht zu sehen, daß achtern jemand auf Deck saß und die Beine in den Schlamm baumeln ließ. Ihr müßt wissen,
ich hatte mich mit den wenigen Handwerkern auf der Station angefreundet, die von den anderen Pilgern natürlich verachtet wurden
– wegen ihrer mangelhaften Manieren, schätze ich. Es war der Vormann – ein Kesselschmied von Beruf – ein guter Arbeiter. Der
Mann war schlaksig, knochig, gelbgesichtig und hatte große durchdringende Augen. Er wirkte immer besorgt, und sein Kopf war
so kahl wie die Innenfläche meiner Hand; doch irgendwie war ihm das Haar beim Ausfallen am Kinn hängengeblieben, und es gedieh
gut an dem neuen Platz, denn der Bart reichte ihm bis zur Taille. Er war Witwer und hatte sechs kleine Kinder (die er, während
er hier draußen war, in der Obhut seiner Schwester ließ), und seine Leidenschaft war die Taubenzucht. Er war ein Liebhaber
und Connaisseur. Von seinen Tauben schwärmte er. Nach Feierabend kam er manchmal von seiner Hütte herüber, um von seinen Kindern
und seinen Tauben zu erzählen; bei der Arbeit, wenn er unter dem Dampfer im Schlamm herumkriechen mußte, band er sich eine
Art weiße Serviette um den |49| Bart, die er zu diesem Zweck mitgebracht hatte. Sie hatte Schlaufen, mit denen er sie an den Ohren befestigte. Abends sah
man ihn am Ufer hocken und das Tuch mit großer Sorgfalt im Bach ausspülen, dann hängte er es feierlich zum Trocknen an einen
Busch.
Ich klopfte ihm auf den Rücken und rief: ›Wir werden die Nieten bekommen!‹ Er sprang auf die Füße. ›Nein! Nieten!‹ rief er,
als traute er seinen Ohren nicht. Dann wurde er leiser: ›Sie ... he?‹ Ich weiß nicht, warum wir uns wie zwei Irre benahmen. Ich tippte mir mit dem Finger seitlich auf die Nase und nickte
geheimnisvoll. ›Gut gemacht!‹ rief er, schnipste mit den Fingern über dem Kopf und hob ein Bein. Ich setzte zu einer Gigue
an. Wir tollten gemeinsam über das Eisendeck. Der alte Rumpf schepperte fürchterlich, und der jungfräuliche Wald auf der anderen
Seite des Bachs warf ein donnerndes Rollen zurück zur schlafenden Station. Einigen der Pilger müssen in ihren Hütten die Haare
zu Berge gestanden haben. Der Eingang der Hütte des Managers leuchtete auf, ein dunkler Schatten erschien, verschwand, und
eine Sekunde später verschwand auch der Eingang selbst. Wir hielten inne, und plötzlich strömte die Stille, die wir mit unserem
Getrampel vertrieben hatten, aus allen Winkeln des Landes zurück. Die große Wand der Vegetation, diese überbordende, verschlungene
Masse von Stämmen, Ästen, Blättern, Zweigen, Ranken, reglos im Mondlicht, wirkte wie der stürmische Vormarsch geräuschlosen
Lebens, eine rollende Woge von Pflanzen, hoch aufgetürmt, schaumbekrönt, drauf und dran, über den Bach zu branden und jeden
von uns kleinen Menschen aus seiner kleinen Existenz zu fegen. Und regte sich nicht dabei. Aus der Ferne klang gedämpft ein
mächtiges Platschen und Schnauben herüber, als würde ein Ichthyosaurus ein Glitzerbad im großen Fluß nehmen. ›Nun‹, sagte
der Kesselschmied in vernünftigem Ton, ›warum sollten wir auch keine Nieten bekommen?‹ |50| Warum auch nicht, er hatte recht! Mir fiel kein Grund ein, der dagegen sprach. ›Sie kommen in drei Wochen‹,
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