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Herz der Finsternis

Titel: Herz der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Conrad
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hätte am Ufer sein sollen, in die Hände klatschen und mit den Füßen stampfen, doch statt dessen war er hier,
     hart bei der Arbeit, ein Knecht des fremden Hexenwerks, voll von veredelndem Wissen. Er war nützlich, weil man ihn unterwiesen
     hatte; und was er wußte war folgendes – daß, falls |63| das Wasser in dem durchsichtigen Ding verschwand, der böse Kesselgeist vor lauter Durst in Zorn geraten und furchtbar Rache
     nehmen würde. Also schwitzte der Bursche und heizte und beobachtete ängstlich das Glas (einen aus Lumpen improvisierten Talisman
     um den Arm und ein poliertes Stück Knochen, so groß wie eine Taschenuhr, flach in seiner Unterlippe), während die waldigen
     Ufer langsam vorbeiglitten, wir den kurzen Lärm hinter uns ließen, die endlosen Meilen der Stille – und wir krochen weiter,
     zu Kurtz. Doch die Baumstämme kamen dicht auf dicht, das Wasser war tückisch und seicht, im Kessel schien wirklich ein trotziger
     Teufel zu hausen, und so hatten weder der Heizer noch ich Zeit, einen Blick in unsere schaurigen Gedanken zu werfen.
    Ungefähr fünfzig Meilen unterhalb der Inneren Station stießen wir auf eine Binsenhütte, davor eine schiefe, traurige Stange
     mit den unkenntlichen Fetzen irgendeiner Flagge, die einmal dort geweht hatte, und ein ordentlicher gestapelter Holzstoß.
     Das war unerwartet. Wir legten an und fanden auf dem Holzstapel ein flaches Brett mit einer verblichenen Bleistiftinschrift.
     Zu entziffern war: ›Brennholz für Sie. Machen Sie schnell. Vorsichtig nähern.‹ Darunter eine Unterschrift, sie war unleserlich
     – nicht Kurtz – ein viel längeres Wort. ›Machen Sie schnell.‹ Wohin? Flußaufwärts? ›Vorsichtig nähern.‹ Das hatten wir nicht
     getan. Aber die Warnung konnte sich nicht auf diesen Ort beziehen, wo sie erst nach der Ankunft zu finden war. Irgendwas stimmte
     weiter oben nicht. Aber was – und wieviel? Das war die Frage. Wir äußerten uns kritisch zum Schwachsinn des telegraphischen
     Stils. Der Busch um uns herum schwieg und versperrte uns auch noch die Sicht. Im Eingang der Hütte hing ein zerrissener Vorhang
     aus rotem Twill und flatterte uns traurig entgegen. Die Wohnstatt war ausgeräumt, doch konnten wir erkennen, daß bis vor nicht
     allzulanger Zeit ein Weißer hier gelebt hatte. Ein roher Tisch |64| stand noch da – ein Brett auf zwei Stützen; in einer dunklen Ecke lag ein Haufen Plunder und neben der Tür fand ich ein Buch.
     Es hatte keinen Einband mehr und die Seiten waren so abgegriffen, daß sie ganz weich und fleckig waren, aber der Rücken war
     liebevoll geflickt – mit weißem Baumwollfaden, der noch sauber aussah. Ein außergewöhnlicher Fund. Der Titel lautete
Untersuchung über einige Aspekte der Seemannskunst
von einem gewissen Towser, Towson – etwas in der Art   – Kapitän der Marine Seiner Majestät. Das Ganze sah nach einer ziemlich langweiligen Lektüre aus, mit erläuternden Diagrammen
     und abstoßenden Tabellen, und die Ausgabe war sechzig Jahre alt. Ich behandelte die wunderliche Antiquität mit größtmöglichem
     Fingerspitzengefühl, damit sie sich nicht unter meinen Händen auflöste. Towson oder Towser untersuchte darin beflissen die
     Bruchfestigkeit von Ankerketten und Takelwerk und ähnliches. Kein besonders fesselndes Buch, aber schon auf den ersten Blick
     spürte man eine solche singuläre Absicht, so aufrichtig war er um den richtigen Ansatz bemüht, daß die bescheidenen Seiten
     trotz ihrer vielen Jahre leuchteten, in mehr als nur fachlichem Licht. Der einfache alte Seemann ließ mich mit seinen Ansichten
     zu Ketten und Kurbeln den Urwald und die Pilger vergessen und gab mir das köstliche Gefühl, etwas unverkennbar Wirkliches
     gefunden zu haben. Daß ein solches Buch überhaupt hier war, war Wunder genug, doch noch erstaunlicher waren die Notizen, die
     mit Bleistift an den Rand gekritzelt waren und sich offensichtlich auf den Text bezogen. Ich traute meinen Augen nicht! Sie
     waren chiffriert! Ja, es sah aus wie Chiffre. Stellt euch einen Mann vor, der ein solches Buch mit hinaus in das Nichts schleppt
     und es durcharbeitet – sich Notizen macht – und dazu noch in Chiffre! Wirklich, ein merkwürdiges Geheimnis.
    Schon eine Zeitlang war ein beunruhigendes Geräusch an mein Ohr gedrungen, und als ich aufblickte, sah ich, daß der |65| Holzstapel fort war und der Manager mit der Unterstützung aller Pilger vom Ufer nach mir rief. Ich steckte das Buch in die
     Tasche. Glaubt mir, die

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