Herz der Finsternis
Ich bebte vor Begeisterung. Das war die entfesselte Macht der Eloquenz – der Worte – brennender, nobler Worte. Es gab
keine praktischen Verweise, die den magischen Strom der Sätze unterbrochen hätten, es sei denn, man betrachtete eine Art Anmerkung
am Ende der letzten Seite, offensichtlich viel später mit unsicherer Hand dorthin gekritzelt, als die Exposition einer Methode.
Sie war sehr simpel, und am Ende des bewegenden Appells an alle altruistischen Gefühle loderte sie glühend und schockierend
auf wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel: ›Rottet sie alle aus, die Tiere!‹ Merkwürdig dabei war, daß er sein aufschlußreiches
Postskriptum später anscheinend völlig vergessen hatte, denn als er halbwegs zu sich kam, flehte er mich mehrfach an, gut
auf ›mein Pamphlet‹ (wie er es nannte) aufzupassen, da es sicherlich einmal förderlich für seine Karriere sein werde. Über
all das erhielt ich umfassend Auskunft, und darüber hinaus sollte ich mich, wie sich herausstellte, um sein Andenken kümmern.
Ich habe genug dafür getan, um ihn mit unanfechtbarem Recht zur ewigen Ruhe in den Aschenkasten des Fortschritts zu betten,
wenn ich das will, zum Kehricht und, bildlich gesprochen, zu den toten Katzen der Zivilisation. Aber, seht ihr, mir bleibt
nichts anderes übrig. Er wird nicht vergessen werden. Was immer er war, er war nicht gewöhnlich. Er hatte die Macht, primitive
Seelen so zu verzaubern oder einzuschüchtern, daß sie ihm zu Ehren einen rasenden Hexentanz aufführten, er konnte die kleinen
Seelen der Pilger mit bitteren Befürchtungen erfüllen – er hatte wenigstens einen aufrichtigen Freund, und er hatte eine Seele
auf dieser Welt erobert, die weder primitiv noch von Selbstsucht zerfressen |86| war. Nein, ich kann ihn nicht vergessen, auch wenn ich nicht mit Gewißheit sagen könnte, daß er unbedingt das Leben wert war,
das wir verloren, um zu ihm zu kommen. Ich vermißte meinen verstorbenen Steuermann schrecklich – ich vermißte ihn bereits,
als seine Leiche noch im Ruderhaus lag. Ihr findet es vielleicht seltsam, um einen Wilden zu trauern, jemand, der nicht mehr
zählt als ein Sandkorn in einer schwarzen Sahara. Aber, versteht ihr nicht: er hatte etwas getan, er hatte gesteuert; monatelang
hatte er hinter mir gestanden – ein Helfer – ein Werkzeug. Es war eine Art Partnerschaft. Er steuerte für mich – ich mußte
mich dafür um ihn kümmern, plagte mich mit seinen Fehlern ab, und so war ein feines Band zwischen uns entstanden, dessen ich
mir erst bewußt wurde, als es plötzlich zerrissen war. Und die vertrauensvolle Tiefe jenes Blicks, den er mir zuwarf, als
er getroffen wurde, ist bis heute in meine Erinnerung gebrannt – wie ein Anspruch auf entfernte Verwandtschaft, besiegelt
im erhabensten Augenblick.
Armer Narr! Hätte er bloß den Fensterladen in Ruhe gelassen. Er kannte keine Selbstbeherrschung, keine Selbstbeherrschung
– genau wie Kurtz – ein Baum, der im Wind schwankt. Sobald ich ein trockenes Paar Schuhe angezogen hatte, schleppte ich ihn
hinaus; zuerst zog ich noch den Speer aus seiner Seite, eine Operation, die ich, ich gebe es zu, mit fest geschlossenen Augen
vornahm. Seine Hacken hüpften über die niedrige Türschwelle; ich preßte seine Schultern gegen meine Brust, umarmte ihn verzweifelt
von hinten. Oh! er war schwer, so schwer; schwerer als irgendein anderer Mensch auf der Welt, schien mir. Dann warf ich ihn
ohne weiteres Aufhebens über Bord. Die Strömung riß ihn fort wie ein Büschel Gras, und ich sah noch, wie sich sein Körper
zweimal drehte, bevor er für immer aus meinem Blick verschwand. Alle Pilger und der Manager hatten sich inzwischen auf dem
oberen Deck vor dem Ruderhaus versammelt und redeten aufeinander ein |87| wie ein Schwarm aufgeregter Elstern, meine herzlose Eile wurde mit entrüstetem Murren quittiert. Wozu sie die Leiche noch
länger herumliegen lassen wollten – ich weiß es nicht. Zum Einbalsamieren vielleicht. Aber ich hatte noch ein anderes, sehr
bedrohliches Gemurmel vom Deck unter uns gehört. Meine Freunde, die Holzhacker, waren ebenfalls entrüstet, und dazu hatten
sie den besseren Grund – auch wenn ich zugebe, daß dieser Grund in hohem Grade unzulässig war. Ganz und gar! Ich hatte beschlossen,
wenn mein verstorbener Steuermann schon gegessen werden sollte, dann sollten ihn allein die Fische kriegen. Er war zu Lebzeiten
ein ziemlich zweitklassiger Steuermann
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