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Herz der Finsternis

Titel: Herz der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Conrad
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gewesen, aber jetzt, da er tot war, hätte er eine erstklassige Versuchung abgeben und
     damit möglicherweise unangenehme Schwierigkeiten auslösen können. Außerdem wollte ich endlich das Steuer übernehmen, denn
     der Mann in den rosa Pluderhosen erwies sich diesbezüglich als hoffnungsloser Stümper.
    Das tat ich sofort, nachdem die einfache Bestattung vorüber war. Wir fuhren mit halber Kraft und hielten uns genau in der
     Mitte des Stroms; ich hörte dem Gespräch der anderen zu. Sie hatten Kurtz aufgegeben, hatten die Station aufgegeben; Kurtz
     war tot und die Station abgebrannt – und so weiter und so weiter. Der rothaarige Pilger war ganz außer sich bei dem Gedanken,
     daß sie diesen armen Kurtz wenigstens anständig gerächt hatten. ›Mensch! Wir müssen da im Busch ein herrliches Schlachtfest
     angerichtet haben, was? Was meinen Sie?‹ Er führte ein regelrechtes Tänzchen auf, der blutrünstige kleine rote Lump. Und dabei
     war er fast in Ohnmacht gefallen, als er den Verwundeten sah! Ich konnte mir die Bemerkung nicht verkneifen: ›Jedenfalls habt
     ihr herrlich viel Rauch gemacht.‹ Am Rascheln und Rauschen der Baumwipfel hatte ich gesehen, daß so gut wie alle Schüsse zu
     hoch gegangen waren. Man trifft nicht, ohne zu zielen und die Flinte anzulegen, aber |88| die Kerle hier hatten mit geschlossenen Augen aus der Hüfte gefeuert. Den Rückzug, behauptete ich – und hatte recht damit   –, hatte das Schrillen der Dampfpfeife bewirkt. Darüber vergaßen sie Kurtz und brachen in empörtes Protestgeheul aus.
    Der Manager, der neben dem Steuerrad stand, zog mich flüsternd über die Notwendigkeit ins Vertrauen, auf jeden Fall vor Einbruch
     der Dunkelheit ein gutes Stück flußabwärts zu fahren, als ich plötzlich in der Ferne am Flußufer eine Lichtung entdeckte und
     die Umrisse einer Art von Gebäude. ›Was ist das?‹ fragte ich. Erstaunt klatschte er in die Hände. ›Die Station!‹ rief er.
     Sofort hielt ich aufs Ufer zu, weiterhin mit halber Kraft.
    Durch mein Fernglas sah ich den Abhang eines Hügels, auf dem vereinzelte Bäume standen, der aber sonst vollkommen frei von
     Unterholz war. Ein langes verfallendes Gebäude auf der Kuppe war halb im hohen Gras versunken; die großen Löcher in dem spitzen
     Dach gähnten schwarz aus der Ferne; Dschungel und Wald bildeten den Hintergrund. Es gab weder Einfriedung noch Zaun; aber
     anscheinend hatte es einmal einen gegeben, denn in der Nähe des Hauses war noch ein halbes Dutzend schlanker Pfähle aufgereiht,
     grob zurechtgehauen, das obere Ende je mit einer geschnitzten Kugel verziert. Die Latten, oder was sonst dazwischen gewesen
     war, waren verschwunden. Natürlich war alles von Urwald eingeschlossen. Das Ufer war frei, und am Wasser sah ich einen weißen
     Mann mit einem Hut so groß wie ein Wagenrad, der uns mit ausgestrecktem Arm beharrlich zuwinkte. Als ich den Waldrand oberhalb
     und unterhalb der Lichtung absuchte, war ich fast sicher, Bewegungen zu sehen – menschliche Gestalten, die hin und her glitten.
     Vorsichtig dampfte ich vorbei, dann stoppte ich die Maschinen und ließ uns zurücktreiben. Der Mann am Ufer begann zu rufen,
     er drängte uns anzulegen. ›Wir wurden |89| angegriffen‹, schrie der Manager. ›Ich weiß – ich weiß. Es ist alles in Ordnung‹, rief der andere denkbar fröhlich zurück.
     ›Kommen Sie. Es ist alles in Ordnung. Ich freue mich.‹
    Sein Aufzug erinnerte mich an etwas – etwas Drolliges, das ich irgendwo einmal gesehen hatte. Während ich das Schiff längs
     manövrierte, fragte ich mich: ›Wem sieht dieser Kerl ähnlich?‹ Dann kam ich drauf. Er sah aus wie ein Harlekin. Die Kleider,
     ursprünglich wohl aus braunem Leinen, waren über und über mit Flicken besetzt, mit bunten Flicken, blauen, roten und gelben
     – Flicken auf dem Rücken, Flicken auf der Brust, Flicken an den Ellbogen, an den Knien, eine bunte Borte rund um das Jackett,
     eine rote Einfassung am Hosenboden, und dort im Sonnenschein wirkte er äußerst lustig und wunderbar ordentlich dazu, denn
     man sah, wie schön das Flickwerk gearbeitet war. Ein bartloses, jungenhaftes Gesicht, sehr hell, keine markanten Gesichtszüge,
     die Nase schälte sich, kleine blaue Augen; heitere und finstere Blicke wechselten auf seiner offenen Miene wie Sonne und Schatten,
     die sich über eine windgepeitschte Ebene jagen. ›Vorsicht, Kapitän!‹ rief er. ›Da ist ein Baumstamm, den es letzte Nacht hier
     angeschwemmt hat.‹ Was!

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