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Herz der Finsternis

Titel: Herz der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Conrad
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strahlende Himmelsgewölbe so hoffnungslos
     und so finster erschienen, so undurchdringlich für den menschlichen Verstand, so erbarmungslos gegen jede menschliche Schwäche.
     ›Und seitdem sind Sie natürlich bei ihm geblieben?‹ fragte ich.
    Im Gegenteil. Anscheinend wurde ihr Umgang aus verschiedenen |95| Gründen nachhaltig unterbrochen. Er hatte, wie er mir stolz berichtete, Kurtz während zwei Krankheiten erfolgreich gepflegt
     (er erwähnte dies, als handele es sich um Heldentaten), doch normalerweise wanderte Kurtz allein in die Tiefen des Urwalds
     hinaus. ›Häufig, wenn ich zur Station kam, mußte ich tagelang warten, bis er wieder auftauchte‹, sagte er. ›Ach! Es war das
     Warten wert – manchmal.‹ ›Was tat er dort? Erforschte er das Land, oder was sonst?‹ fragte ich. Oh! Ja. Natürlich habe er
     viele Dörfer entdeckt, auch einen See – er wisse nicht genau in welcher Richtung; es sei gefährlich, zu viel nachzufragen
     – doch meistens sei es bei den Expeditionen um Elfenbein gegangen. ›Aber er hatte doch gar keine Waren mehr, die er hätte
     eintauschen können‹, widersprach ich. ›Es ist immer noch ein Haufen Patronen übrig‹, antwortete er und sah weg. ›Mit anderen
     Worten, er plünderte das Land‹, sagte ich. Er nickte. ›Doch bestimmt nicht allein!‹ Er murmelte etwas von den Dörfern an diesem
     See. ›Kurtz hat den Stamm dazu gebracht, ihm zu folgen?‹ erriet ich. Nervös rutschte er herum. ›Sie verehrten ihn‹, sagte
     er dann. Der Klang seiner Stimme war so sonderbar, daß ich ihn forschend ansah. Es war kurios zu sehen, mit welcher Mischung
     aus Eifer und Widerwillen er von Kurtz sprach. Der Mann füllte sein Leben aus, besetzte seine Gedanken, beherrschte seine
     Gefühle. ›Was erwarten Sie!‹ platzte er schließlich heraus. ›Er kam mit Blitz und Donner zu ihnen, verstehen Sie – sie hatten
     so etwas noch nie gesehen – so etwas Schreckliches. Er konnte so schrecklich sein. Sie dürfen Mr.   Kurtz nicht beurteilen wie einen gewöhnlichen Menschen. Nein, nein, nein! Also – nur um Ihnen eine Vorstellung zu geben –
     es macht mir nichts aus, es Ihnen zu erzählen – er wollte auch mich einmal erschießen – aber ich verurteile ihn deswegen nicht.‹
     ›Sie erschießen!‹ rief ich. ›Weswegen?‹ ›Nun ja, von dem Häuptling des Dorfes in der Nähe meines Hauses hatte ich eine kleinere
     Menge Elfenbein erhalten |96| . Sehen Sie, ich habe öfter einmal Wild für sie geschossen. Also, er wollte es haben und ließ kein Argument gelten. Er erklärte,
     er würde mich erschießen, wenn ich das Elfenbein nicht herausgäbe und aus dem Land verschwände, denn das könnte er, und nichts
     auf der Welt könnte ihn daran hindern, jeden zu erschießen, den zu erschießen er Lust bekam. Und das stimmte auch. Ich gab
     ihm das Elfenbein. Was kümmerte es mich! Aber ich verschwand nicht. Nein, nein. Ich konnte ihn nicht verlassen. Ich mußte
     natürlich vorsichtig sein, solange bis wir wieder auf freundlichem Fuß standen. Damals wurde er zum zweiten Mal krank. Ich
     mußte ihm aus dem Weg gehen, aber das machte mir nichts aus. Die meiste Zeit lebte er in den Dörfern am See. Manchmal, wenn
     er zum Fluß kam, war er freundlich zu mir, und manchmal war es besser, vorsichtig zu sein. Dieser Mann litt zu sehr. Er haßte
     all das, doch irgendwie kam er nicht davon los. Als die Gelegenheit günstig war, flehte ich ihn inständig an, es zu versuchen
     und zu gehen, solange noch Zeit war; ich bot sogar an, mit ihm zurückzugehen. Erst sagte er ja – dann blieb er doch – ging
     auf die nächste Elfenbeinjagd – verschwand wochenlang – vergaß sich selbst unter diesen Menschen – vergaß sich selbst – verstehen
     Sie.‹ ›Er ist verrückt!‹ rief ich. Er protestierte empört. Mr.   Kurtz könne nicht verrückt sein. Hätte ich ihn nur reden gehört, vor zwei Tagen erst, dann würde ich nicht wagen, etwas Derartiges
     zu behaupten   ... Ich hatte mein Fernrohr hervorgeholt, während wir sprachen, um das Ufer zu betrachten, und überflog den Waldrand zu beiden
     Seiten des Hauses und dahinter. Das Wissen, daß dort Menschen im Busch waren, so lautlos, so still – lautlos und still wie
     das verfallene Gebäude auf dem Hügel   –, machte mich nervös. Im Anblick der Natur fand sich kein Hinweis auf diese furchtbare Geschichte, die mir weniger erzählt
     als vielmehr angedeutet wurde, mit verzweifelten Ausrufen, ergänzt von Schulterzucken, |97|

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