Herz im Spiel
neben sie.
„Wir haben noch keine Vorkehrungen dafür getroffen, was mit Miss Morley geschehen soll, daher verstehen Sie wohl, warum ich so erstaunt bin, dass mein Sohn jetzt verreist ist. Einfach so, ohne eine Nachricht zu hinterlassen oder etwas zu arrangieren.“
Marianne blickte die andere Frau einen Moment forschend an. „Mrs Desmond, was tut Ihr Sohn Ihrer Ansicht nach mit den jungen Frauen, die Sie aufnehmen?“, erkundigte sie sich schließlich. Die Frage war unverblümt, vielleicht indiskret, aber Marianne hatte beschlossen, dass es an der Zeit war, die Wahrheit ans Licht zu bringen.
„Ich weiß ganz genau, was er mit ihnen anfängt“, entgegnete Mrs Desmond. „Mein Sohn hat sich bereit erklärt, die armen Wesen zu ihren Freunden und Familien zurückzubringen, um sie vor einem Leben in Sünde und Erniedrigung zu bewahren.“ Ihre Stimme klang triumphierend. Für sie war sein Tun mehr als die Rettung einer Anzahl unschuldiger Mädchen. Diese Taten retteten auch ihren Sohn.
Für einen Moment verschlug es Marianne die Sprache. „Wirklich?“, fragte sie schließlich schwach. Staunen schwang in ihrer Stimme mit.
„Ja, sicherlich. Aber ich dachte … sind Sie nicht …? Entschuldigen Sie, Miss Trenton, aber ich hatte angenommen, Peter hätte Sie nach Kingsbrook geholt, um Ihnen auf dieselbe Weise Schutz zu gewähren.“
Marianne sog heftig den Atem ein, um ihn dann sehr langsam wieder auszustoßen. „Ja“, antwortete sie schließlich. „Das hat er.“
Mrs Desmond wechselte das Thema, um von Neuem über den Verbleib ihres Sohnes zu diskutieren. Sie war sich nicht bewusst, dass die letzten Minuten Mariannes Leben eine ganz neue Wendung gegeben hatten. Endlich war sie frei von ihrem Misstrauen, und ihr Herz und ihr Verstand befanden sich wieder im Gleichklang.
„Sie können mir also keinen Hinweis geben, wo Peter sich aufhält?“, erkundigte sich Mrs Desmond.
Hilflos schüttelte Marianne den Kopf.
Mrs Desmond hatte in ihrer Aufregung einen ihrer Handschuhe heruntergezerrt, und nun begann sie, ihn wieder anzuziehen. „Ich fürchte, jetzt bin ich wirklich ratlos. Ich bin hergekommen in der Hoffnung, Peter anzutreffen, aber wenn er nicht hier ist …“
„Mrs Desmond, dies ist das Haus Ihres Sohnes. Ich weiß, er würde wollen, dass Sie bleiben. Ich selbst muss dringend nach Reading fahren, aber Mrs River wird sich über Ihre Gesellschaft freuen, und Mr Desmond wird zweifellos in einigen Tagen zurück sein und Sie sehen wollen.“
„Oh, meine Liebe, ich kann doch unmöglich …“, begann Mrs Desmond. Sie sträubte sich noch ein wenig, doch schließlich nahm sie Mariannes Einladung an.
Umgehend wurde Mrs River gerufen, die, wie Marianne vorausgesagt hatte, hoch erfreut über Mrs Desmonds Entschluss war, ein paar Tage auf Kingsbrook zu verbringen. Die Haushälterin staunte jedoch nicht wenig, als Marianne erklärte: „Und teilen Sie Rickers mit, dass ich nach Reading fahre.“
„Jetzt, Miss?“, fragte sie.
„Sofort.“
Sprachlos sahen Mrs Desmond und Mrs River zu, wie Marianne aus dem Zimmer eilte, nach Candy rief und James schickte, um Rickers Bescheid zu geben.
Rickers war zwar gerade damit beschäftigt, den Zaun zu reparieren, aber dennoch hatte er schon das Pferd vor den Wagen gespannt, als Marianne die Treppe herunterhastete, gefolgt von Candy, die ihren Koffer trug.
In einer knappen halben Stunde waren alle – Marianne, Mrs Desmond, Mrs River und die Dienstboten – vor der Eingangstür versammelt.
„Miss Marianne, was fällt Ihnen nur ein? Wohin wollen Sie?“, fragte Mrs River und warf der Mutter ihres Herrn einen Blick über die Schulter zu. Der Haushälterin erschien es schrecklich unhöflich, sie gleich nach ihrer Ankunft so einfach stehen zu lassen.
„Ich muss nach Reading fahren, um eine Freundin aufzusuchen. Ich hoffe, Mrs Desmond, dass entweder sie oder ihr Verlobter weiß, wo Mr Desmond sich aufhält. Sobald ich etwas erfahren habe, gebe ich Ihnen Nachricht“, fügte Marianne rasch hinzu.
Mariannes knappe Erklärung und ihre vagen Versprechungen stellten keine der beiden Damen zufrieden, und Marianne glaubte selbst nicht recht daran. Aber sie konnte einfach nicht länger hier auf Kingsbrook herumsitzen und auf eine Botschaft von dem Mann, den sie liebte, warten. Tief im Herzen wusste sie, dass derselbe Umstand, der Bernie daran hinderte, zu Miss Tamberlay zurückzukehren, auch Peter aufhielt. Sie konnte es nicht erklären, doch sie hoffte, Rachel würde dazu
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