Herz im Zwiespalt (German Edition)
klappte den Mund jedoch schnell wieder zu und presste die Lippen fest aufeinander. Himmel, jetzt hätte sie beinahe eine Fliege verschluckt. Das Ding war riesig. Lizz beobachtete gebannt, wie das hässliche, haarige Insekt langsam einem älteren Herrn vom Howard-Clan über den Rücken krabbelte, und fragte sich ernsthaft, welche Regeln es wohl für eine Lady zu befolgen galt, wenn sie versehentlich ein solches Tier verschluckte. Ganz geräuschlos konnte das doch bestimmt nicht vonstatten gehen. Lizz verfolgte gespannt die trägen Flugkünste der Fliege. Dieses Biest hatte es anscheinend auf sie abgesehen.
»Um Himmels willen, Elizabeth, so steh doch still«, zischte ihre Mutter und strafte sie mit einem vorwurfsvollen Blick. Lizz versuchte tapfer das lästige Insekt, das ihr gerade den Arm hoch krabbelte, zu ignorieren und spähte zu ihren älteren Schwestern hinüber. Beide verfolgten das Geschehen mit anmutiger Ruhe. Margarete schien kaum mehr zu atmen vor lauter Würde, dafür huschte jedes Mal ein kleines Lächeln über Annabellas Lippen, wenn ein junger Lord aufgerufen wurde. Lizz ahnte, dass sich ihre Schwester gedanklich mit ihrem kleinen Plan beschäftigte. Annabella hatte ihr noch vor der Abreise erklärt, dass sie nicht ohne einen Ehemann nach Stobhall Castle zurückkehren würde. Angeblich wollte sie eine Liste mit möglichen Heiratskandidaten erstellen, von der sie dann den Besten auswählen würde. Manchmal konnte Lizz ihre Schwester wirklich nur um deren Selbstbewusstsein beneiden. Annabella würde es niemals in den Sinn kommen, dass der von ihr erwählte Ehemann gar kein Interesse an ihr haben könnte.
Diese lästige Fliege entwickelte sich allmählich zu einem regelrechten Quälgeist. Lizz versuchte sie so anmutig wie möglich zu verscheuchen, doch das lästige Insekt kam immer wieder.
Plötzlich räusperte sich eine Stimme hinter ihr laut und vernehmlich. Lizz wandte sich empört um, gewillt, diesen unverschämten Kerl mit einem vernichtenden Blick in seine Schranken zu verweisen. Doch alles, was sie sah, war eine mächtige Männerbrust in schwarzem Samt. Sie musste den Kopf in den Nacken legen, nur um in ein überaus finsteres Gesicht hoch zu sehen. Stahlgraue Augen fixierten sie voller Missbilligung. Lizz schnappte hörbar nach Luft. Dieser elende Riese besaß doch tatsächlich den Nerv, den Kopf über sie zu schütteln.
Peinlich berührt und siedend vor Wut, wandte sie dem Kerl wieder den Rücken zu. Im Augenblick bestand keine Möglichkeit, sich für sein beleidigendes Räuspern zu rächen, also beschloss sie, ihn einfach zu ignorieren. Dennoch hatte seine hoch gewachsene Gestalt Erinnerungen in ihr wachgerufen, die sie besser unangetastet ließ. Der schwarze Ritter. Lizz seufzte innerlich auf, eine tiefe Traurigkeit erfasste sie. Es war sinnlos, sich Gedanken über diesen Fremden zu machen. Vermutlich würde sie ihn niemals wieder sehen, und dennoch fiel es ihr unglaublich schwer, ihn aus ihrem Herzen zu verdrängen. Sie schob ärgerlich das Kinn vor. Dieser Mistkerl hinter ihr besaß kein Recht, ihre Sehnsucht nach dem maskierten Ritter wieder neu zu entfachen.
Lizz unternahm einen weiteren Versuch, sich auf das Geschehen um sie herum zu konzentrieren. Clan um Clan wurde aufgerufen. Sie betrachtete ihren neuen König ausführlich. Böse Zungen munkelten, dass dieser junge Mann nicht ganz unbeteiligt am Tod seines Vaters war. Dennoch schien niemand sonderlich entsetzt darüber zu sein. König James III. war nicht gerade ein beliebter Herrscher gewesen. Er hatte sich wenig um sein zerstrittenes Volk gekümmert und sich ganz seinem Machthunger hingegeben. Viele Söhne und Väter waren in sinnlosen Schlachten gefallen und hatten große Lücken in den Clanen hinterlassen. Trotzdem hatte dies den alten König keineswegs davon abgehalten, sein Tun bis fast zur Besessenheit weiterzuverfolgen. Ebenso hatte es ihn kalt gelassen, dass die stetig erhöhten Steuern, mit denen er seine Schlachten finanziert hatte, seine Untertanen und Lehensmänner immer tiefer in Armut und Hunger gestürzt hatten. Vielleicht war dies auch der Grund, weshalb kaum ein Schotte ihm nachtrauerte. Etliche Clane waren der Kämpfe müde. Sie hatten mit ihren Ländereien und Burgen genügend zu tun und hofften nun, dass der neue König ihnen auch die Zeit dazu ließ.
Natürlich trifft dies nicht auf die Douglas zu, überlegte Lizz grimmig. Dieser streitlustige Clan liebte den Kampf. Schließlich war er dadurch zu Reichtum und
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