Herz im Zwiespalt (German Edition)
»Das heißt, dass das Wohl von Dirleton Castle von nun an in meinen Händen liegt.«
Lizz schnappte plötzlich heftig nach Luft, als sich ihr Magen vor Übelkeit zu überschlagen drohte.
»Lizz? Du bist ja leichenblass«, rief William besorgt. »Soll ich dich nach oben bringen?«
Lizz schüttelte den Kopf und atmete einige Male tief durch. »Das ist ja seltsam. Es ist schon wieder vorbei.«
»Wir sollten besser ein wenig an die frische Luft gehen«, erklärte William und führte sie in den Burghof hinaus.
Gemeinsam schlenderten sie an den Mauern entlang und ließen ihre Augen übers Meer schweifen.
Lizz atmete tief die salzige Meerluft ein. »Dieser weiße Felsen dort draußen fasziniert mich immer wieder.«
»Der Fels heißt Bassrock. Wenn du genau hinsiehst, erkennst du ein Kloster. Es steht schon seit Jahrhunderten dort. Jeden Monat fahren einige Fischer hinaus, um den Mönchen Lebensmittel zu bringen.«
»Ich meinte eher das weiße Gestein«, gestand Lizz und furchte verwirrt die Stirn, als William laut auflachte.
»Die weiße Farbe verdankt er den Möwen, Lizz. Eigentlich ist der Fels ebenso schwarz wie all die anderen, die du hier siehst.«
»Du meinst, das sind alles Federn?«, wollte Lizz verblüfft wissen.
»Nicht ganz«, lachte William. »Eher Vogelschei... ich meine Exkremente.«
»Igitt«, stieß Lizz empört hervor. »Das ist ja widerlich.«
»Ich fürchte, jetzt habe ich dir die Faszination daran verdorben«, neckte er sie und erntete dafür einen Rippenstoß.
»Ganz entschieden hast du das.« Lizz rieb sich die Arme. »Es wird kalt. Lass uns wieder hineingehen.«
Sie schlenderten gerade auf das Burgtor zu, als William Lizz plötzlich grob zur Seite stieß. Im nächsten Moment landete ein riesiger Steinbrocken genau dort, wo sie noch eben gestanden hatte.
»Großer Gott, Lizz, bist du verletzt?«, keuchte William entsetzt und blickte in ihr kalkweißes Gesicht.
Unfähig, ein Wort zu sagen, schüttelte sie den Kopf.
William blickte verwirrt hoch. »Verdammt, wie konnte sich ein solcher Brocken unbemerkt lösen? Wir hatten wirklich verteufeltes Glück.«
Lizzys Gedanken überschlugen sich, während ihre Augen die Zinnen nach George absuchten. Ja, sie hatte Glück gehabt, aber wie lange noch? Am liebsten hätte sie laut aufgeschrieen vor Pein. Wie konnte er ihr das antun? Unfälle geschehen immer wieder. Die Worte hallten wie ein Schreckgespenst durch ihren Kopf. Aber das war kein Unfall gewesen! Großer Gott, er schreckte nicht einmal davor zurück, sie mit einem Felsbrocken zu erschlagen!
»Ich bringe dich besser in deine Gemächer. Du zitterst ja am ganzen Leib. Soll ich einen Arzt rufen?«, erkundigte sich William voller Sorge.
Lizz schüttelte gelähmt vor Schock den Kopf. »Ich ... ich brauche nur etwas Ruhe.«
Ohne den Aufruhr und das Entsetzen der Augenzeugen dieses vermeintlichen Unfalls zu bemerken, ließ sich Lizz von William in die große Halle geleiten.
Doch kaum waren sie dort angelangt, da schlenderte Isabella mit einem zuckersüßen Lächeln auf sie zu. »Ah, meine Liebe. Wie schön, dass Ihr Euch wieder einmal sehen lasst.« Sie trug ein blassrosa Samtkleid mit üppigen Rüschenverzierungen und einem so tiefen Ausschnitt, dass ihre fülligen Brüste jeden Moment herauszuspringen drohten.
»Isabella, verschwinde von hier. Du weißt verdammt genau, dass du in der Burg nichts zu suchen hast«, fuhr William sie zornig an.
Isabella schürzte die Lippen und musterte Lizz beleidigend lange. »Da irrst du dich, William. Dein Bruder ist ein überaus wollüstiger Mann. Er braucht eine Frau wie mich, die ihm all seine sinnlichen Wünsche erfüllt. Kein blasses, stummes Mäuschen wie die da.«
Das war zuviel! »Verschwinde aus meinem Haus, du schäbiges Flittchen«, schrie Lizz voller Flass. Ihre Augen sprühten Funken. All der Zorn, all die Angst der letzten Tage brachen sich in einem gewaltigen Ausbruch Bahn. »Du wirst weder diese Burg noch das Dorf je wieder betreten oder bei Gott, ich prügle dich höchst persönlich von meinem Land hinunter, du boshaftes Weibsbild. Ich gebe dir genau zwei Tage, um deine Sachen zu packen und von hier zu verschwinden.«
In der Halle war es plötzlich mäuschenstill. Dienstboten und Soldaten hoben erstaunt die Köpfe. Niemand hätte je einen solchen Ausbruch von ihrer Herrin erwartet.
Vor allem Isabella war vollkommen überrumpelt und wich entsetzt zurück. Bisher war es dieser Frau doch herzlich egal gewesen, dass sie es mit ihrem Mann
Weitere Kostenlose Bücher