Herz in Fesseln
dem Tischtuch. „Meine Mutter war zu der Zeit mit ihrem zweiten Mann verheiratet und ich …“, erneut verstummte sie und presste die Lippen zusammen. „Wie auch immer“, murmelte sie schließlich. „Es gab Gründe, warum ich dort nicht wohnen wollte.“
Etwas in ihrer Stimme ließ Damon aufhorchen. Er wollte sie nach den Gründen fragen, doch er spürte instinktiv, dass es ein Fehler gewesen wäre.
Obwohl die Sonne unverändert strahlend vom Himmel schien, kam es Anna vor, als hätte sich plötzlich eine schwarze Wolke darübergelegt. Erinnerungen an eine Zeit, die sie am liebsten für immer vergessen hätte, stiegen in ihr auf und mit ihnen die vertraute Übelkeit. Trotz der Wärme überlief sie eine Gänsehaut, während vor ihrem inneren Auge das anzüglich grinsende Gesicht ihres Stiefvaters auftauchte …
„Alles in Ordnung, Anna?“
Wie aus weiter Ferne drang Damons Stimme an ihr Ohr. Energisch zwang sie sich in die Gegenwart zurück und rang sich ein Lächeln ab. „Ja, ich bin nur etwas müde“, behauptete sie wenig überzeugend und stand auf. „Ich muss jetzt gehen. Nochmals danke für den Lunch.“
„Wo steht Ihr Wagen?“
Bevor Anna reagieren konnte, war Damon um den Tisch herumgegangen und hatte sich ihre Sporttasche über die Schulter gehängt. „Ich fahre Sie, pedhaki mou . Sie sind sehr blass und sollten sich jetzt nicht hinters Steuer setzen.“
„Das habe ich auch nicht vor“, entgegnete sie schärfer als beabsichtigt. „Ich bin zu Fuß gekommen und gehe durch den Park zurück.“
„Dann begleite ich Sie.“ Fürsorglich legte er ihr den Arm um die Taille, ohne sich darum zu kümmern, dass sie sich bei seiner Berührung sofort versteifte.
„Das ist nicht nötig.“ Ungehalten befreite Anna sich aus seinem Griff. „Es geht mir ausgezeichnet, und ich brauche wirklich keinen Begleiter.“
Zufrieden registrierte Damon ihre vor Ärger geröteten Wangen. Endlich hatte sie diese krankhafte Blässe verloren. Irgendetwas hatte sie vorhin ernsthaft bedrückt, aber dies war nicht der geeignete Zeitpunkt, sie zu bedrängen und die Wahrheit aus ihr herauszuholen. Stattdessen hatte er bewusst ihren Zorn herausgefordert, um sie auf andere Gedanken zu bringen. Und wie es aussah, war es ihm auch gelungen.
„Was wollen Sie eigentlich von mir, Damon?“, fragte Anna ihn heiser.
Die Verwundbarkeit in ihren Augen ging ihm mehr unter die Haut, als er wahrhaben wollte. „Ein bisschen von Ihrer Zeit“, erwiderte er leise. „Die Chance, einander kennenzulernen und das weiterzuführen, was auf Zathos angefangen hat.“
„Da hat nichts angefangen!“, widersprach Anna ihm heftig. „Ihre Fantasie muss Ihnen einen Streich gespielt haben.“
„Wirklich?“ Damon legte ihr die Hand in den Nacken und zog sie an sich. Dann beugte er sich über sie und eroberte ihren Mund mit einem kurzen, leidenschaftlichen Kuss.
Als er sie wieder losließ, stand Anna wie benommen da. Anstatt wie erwartet mit Ekel zu reagieren, hatte sie das Gefühl seiner festen, warmen Lippen auf den ihren sogar genossen. So sehr, dass sie wünschte, er hätte nicht aufgehört …
„Nur meine Fantasie?“ Damon schüttelte langsam den Kopf. „Nein, Anna. Die erotische Spannung … die Anziehungskraft zwischen uns, oder wie immer Sie es nennen wollen, bestand wirklich, und daran hat sich nichts geändert. Die Frage ist nur, was fangen wir damit an?“
4. KAPITEL
Um sich auf andere Gedanken zu bringen, verbrachte Anna den Rest des Tages damit, ihre Wohnung auf Hochglanz zu bringen. Am Abend arbeitete sie sich durch einen Stapel unerledigter Papiere, aber leider waren all ihre Bemühungen umsonst.
Unentwegt musste sie an Damons Kuss denken, und jedes Mal löste die Erinnerung eine Mischung aus Staunen, Furcht und Erregung in ihr aus. Es war sinnlos, noch länger zu leugnen, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte, doch ihre Angst überwog. Deswegen hatte sie auch nahezu panisch sein Angebot abgewehrt, sie nach Hause zu begleiten. Sie fühlte sich diesem Mann einfach nicht gewachsen.
Seine letzten Worte gingen ihr nicht aus dem Kopf: Die Frage ist nur, was fangen wir damit an …?
Vergeblich versuchte Anna, eine Antwort darauf zu finden, bis sie sich schließlich aus ihren Grübeleien riss und ins Bett ging. Es war schon weit nach Mitternacht, doch auch in dieser Nacht fand sie kaum Schlaf.
Als sie am nächsten Morgen ihre Sporttasche packte, klingelte es an der Tür. Es war ein Bote, der ihr einen riesigen Strauß
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